Faszinierende Metastrategien 13 | Wenig faszinierende Erkenntnisse 17

09Dec
2017

In “Die Kunst des guten Lebens” (übrigens sehr lesenswert!) analysiert Rolf Dobelli unter anderem die psychologischen Ursachen der Inflation an Meinungen:

“Unser Hirn ist ein Meinungsvulkan. Es versprüht nonstop Meinungen und Ansichten. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Fragen relevant oder irrelevant, beantwortbar oder unbeantwortbar, komplex oder einfach sind. Unser Hirn pustet Antworten heraus wie Konfetti. […]
Wir tendieren – gerade bei schwierigen Fragen – sofort zur einen oder anderen Seite. Erst danach konsultieren wir den Verstand, um nach Gründen zu suchen, die unsere Position untermauern. Das hat mit der sogenannten Affektheuristik zu tun. Ein Affekt ist ein sofortiges, eindimensionales Gefühl. Dieses Gefühl ist oberflächlich und kennt zur zwei Ausprägungen – entweder positiv oder negativ, “gefällt mir” oder “gefällt mir nicht”. […]
Falsche Entscheidungen aufgrund schneller Meinungsbildung können verheerend sein, aber es gibt noch einen anderen guten Grund, unsere Meinungsinkontinenz zu stoppen. Nicht immer eine Meinung haben zu müssen beruhigt den Geist und macht uns gelassener – eine wichtige Zutat für ein gutes Leben.”

Interessant finde ich vor allem, wenn man sich die Konsequenzen daraus für unser politisches System überlegt: In vielen Ländern wird regelmäßig das Volk befragt zu Fragen, deren Auswirkungen unglaublich komplex ist (der Brexit ist eines der besten Beispiele), und für die die große Mehrheit der Bevölkerung eigentlich keine Meinung hat. Zumindest keine Meinung jenseits der affektiven, emotional getriebenen, Zustimmung oder Ablehnung in Fragen, die so vieldimensional sind, das ein einfaches “finde ich gut” oder “finde ich nicht gut” dem Thema nicht gerecht wird. Vieldimensionalität und damit einhergehende unvergleichbare Kompromisse sind natürlich Konzepte, die für unsere Entscheidungsfindung deutlich unbequemer sind als ein intuitives “gefällt mir”.

Die wenig faszinierende Erkenntnis ist, das unabhängig davon, was einem gefällt, man sich seine seine Filterblase zu suchen kann, in dem praktisch jede Kombination an Meinungen als geschlossenes Weltbild präsentiert wird. Jede abweichende Meinungen, selbst jedes kaum bestreitbare Faktum, das die Vorzüge des eigenen Weltbilds in Frage stellt, ist kein ebenso optimaler und unvergleichbarer Kompromiss, sondern die Propaganda der anderen. Die mit der “falschen” Meinung (oder die für ihre Meinungen bezahlt werden, aus Sicht der Verschwörungstheoretiker).

Meinungslosigkeit ist eine faszinierende Metastrategie. Wenn ich zu einem Thema, welches mich interessiert, so viele konträre Meinungen mit fundierter Argumentation durchgelesen habe, das ich danach keine eindeutige “ja oder nein” Meinung habe, sondern eine Menge pareto-optimaler Kompromisse in einem hochdimensionalen Raum vor mir sehe, dann ist das ein gutes Zeichen. Dann nähere ich mich der tatsächlichen Komplexität dieses Themas an.

Das ist jetzt aber keine hilfreiche Strategie für Führungskräfte in Politik und Wirtschaft. Investieren oder nicht? Den bilateralen Vertrag unterschreiben oder nicht? Entscheidungen von Führungskräften sind ihrer Natur nach oft binär, einen Mittelweg gibt es nicht. Was also tun? Eine erfolgversprechende Strategie könnte sein: Am wenigsten der eigenen affektiven Emotion vertrauen, am meisten den Wissenschaftlern und Beratern, die man in der konkreten Frage am kompetentesten hält und mit denen man in der Vergangenheit die besten Erfahrungen gemacht hat. Die Schrittweite so klein wie möglich wählen: In einer komplexer werdenden Welt, kann jede Entscheidung in die eine oder andere Richtung Konsequenzen in einer ganz anderen Größenordnung haben. Die eigene “Meinung” (die man als solche den Untergebenen natürlich kommunizieren muss, auch wenn man gar keine hat) bei Bedarf schnell wieder ändern und den Kurs korrigieren. Ideologiefrei agieren, denn politische und wirtschaftliche Ideologien (was nichts anderes als ein sehr starres Set an Meinungen ist) sind eigentlich alle gescheitert und können die Komplexität der Welt nicht antizipieren.

Und nun am Ende doch noch eine persönliche Meinung, weil’s so gut passt: Es gibt in Deutschland eine politische Führungsfigur, die eigentlich all das perfektioniert hat, und die ich genau dafür schätze. Alle, die ihr “Meinungslosigkeit” vorwerfen, haben da irgendetwas nicht verstanden. Jedenfalls meiner Meinung nach – über die ich auch ein wenig nachgedacht habe. Jedenfalls mehr als über mein letztes Like für ein Katzenbild auf Facebook. In dem Fall spricht dann auch wirklich nichts gegen die affektive emotionale Zustimmung.