Wenig faszinierende Strategien 2 | Faszinierende Strategien 15 | Selbstkritische Betrachtungen 4

21Jul
2012

Die Klasse der nichtfaszinierenden Ideen teilt sich in die Klasse der naheliegenden und die der abwegigen Ideen. Eine wenig faszinierende Strategie eine besonders naheliegende Idee bzw. abwegige Idee zu propagieren, besteht darin, für deren Nützlichkeit bzw. für deren Einzigartigkeit zu argumentieren. In der Wissenschaft besteht eine faszinierende Strategie darin, ein Forschungsfeld damit zu legitimieren, zunächst bei einer abwegigen Idee deren vollkommene Einzigartigkeit hervorzuheben; gegen die dem Betrachter offensichtliche Abwegigkeit dieser Idee wird sodann argumentiert, in dem Querbeziehungen zu einer Reihe von äußerst nützlichen Ideen postuliert werden. Diese Querbeziehungen sind zum einen hinreichend abstrakt, dass sie nicht zu wiederlegen sind; zum anderen sind die nützlichen Ideen oftmals naheliegend.

Metastrategien 4 | Faszinierende Ideen 3

14Jul
2012

Eine Metastrategie, den Sinn des Lebens zu beantworten, besteht darin, die Wohldefiniertheit dieses Problems anzuzweifeln, wie es Houellebecq in diesem sehr lesenswerten Interview tut:

“HOUELLEBECQ: […] Es müßte eine neue Art Mensch erfunden werden. Vor hunderttausend Jahren hat sich die Menschheit genetisch sehr rasch entwickelt. Danach geschah bis heute fast nichts, weil die Kultur die Funktion des Fortschritts übernommen hat. Ich hätte nichts dagegen, wenn die genetische Evolution jetzt wieder beginnt. Die Menschheit müßte sich zu einer anderen Spezies fortentwickeln. Ich sehe keinen Grund, diese Möglichkeit auszuschließen.

Wie sähe diese Spezies aus?

HOUELLEBECQ: Das menschliche Gehirn müßte verändert werden, damit wir aufhören, nach dem Sinn des Lebens zu fragen. Ich meine nicht, daß die Welt sinnlos ist, aber die Frage nach dem Sinn muß verschwinden, weil es darauf keine Antwort gibt.

[…]

Auguste Comte, auf den Sie sich gern berufen, hat die Menschheitsentwicklung in drei Stadien eingeteilt. Am Anfang steht das religiöse Stadium. Es folgt das metaphysische. Die Krönung ist das wissenschaftliche Stadium, in dem wir nun angekommen sind.

HOUELLEBECQ: Nein, da sind wir noch nicht angekommen. Wir befinden uns noch im metaphysischen Stadium. In das wissenschaftliche werden wir erst dann eintreten, wenn wir aufhören zu fragen, was hinter den Naturgesetzen steht. Wir sollten uns damit zufriedengeben, sie zu beschreiben.”

So wenig faszinierend auch Houellebecq´s Misanthropie sein mag – ist es nicht eine faszinierende Idee, dass der Mensch tatsächlich in der Lage wäre, eine neue Spezies seiner selbst zu entwerfen? Doch sollte diese Spezies keine Reflektionsfähigkeiten besitzen, nicht in der Lage sein, den Sinn ihrer selbst zu ergründen – ist damit nicht ganz objektiv ein Rückschritt erreicht, wäre ein solcher neuer Mensch nicht “echt weniger mächtig” als ein, über den Sinn seiner Existenz sinnierender Mensch? Und würde nicht zwangsläufig jedes Wesen, dass mindestens die kognitiven Fähigkeiten eines Menschen aufbringt, auch über denn Sinn seiner selbst reflektieren? Könnte man also sogar in Analogie zur Church-Turing-These die folgende These aufstellen?

Die Klasse der intelligenten Wesen entspricht genau der Klasse der selbst-reflektiven Wesen.

Das zugegeben etwas abstrus; auch ist die “Klasse der intelligenten Wesen” wahrscheinlich kein sehr exakter Begriff, ähnlich wie die “intuitiv berechnbaren Funktionen”. Man könnte das ganze natürlich auch noch verknüpfen, in dem man postuliert:

Die Klasse der inuitiv berechnbaren Funktionen ist genau die Klasse der Funktionen, die von einem intelligenten Wesen berechnet werden können.

Na gut, jetzt reicht es für heute.

Wenig faszinierende Städte 1 | Wenig faszinierende Strategien 1

01Jul
2012

Wir alle kennen Spanien, zumindest aus den Wirtschaftsnachrichten der letzten Zeit. Ein marodes Bankensystem, der Staat als der nächste Pleitekandidat in Europa, die Jugendarbeitslosigkeit bei nahezu 50%. Es gibt keine erfolgversprechenden Strategien; Banken die den Staat durch den Aufkauf von Staatsanleihen stützen und ein Staat der gleichzeitig die Banken rettet, das hat Joseph Stiglitz unlängst als Voodoo-Ökonomie gegeißelt.

Aber ist das für Land und Leute wirklich so schlimm? Spanien, dieses sonnige Land auf der iberischen Halbinsel, dieses Traumziel für Badeurlauber? Kann man nicht einfach mal bei den Leuten vorbeischauen, um dann festzustellen, wie sie leben, wie es ihnen geht, wie man dort leben kann? Genau dieses zweifelhafte Vergnügen hatte ich vor kurzem; durch die Teilnahme an der MPC’12 (Mathematics of Program Construction) Konferenz in Madrid verbrachte ich drei Tage in der Hauptstadt. Um dann festzustellen: Es ist gar nicht so, wie in den Nachrichten berichtet wird. Es ist nämlich viel schlimmer.

Die Anmeldung zur Konferenz begann unter zweifelhaften Vorzeichen: Wir, ich nebst Kollegen, haben die Konferenzgebühr auf das Universitätskonto bei der “Bankia” überwiesen, um genau einen Tag später zu erfahren, dass das Geldhaus praktisch pleite ist. Eine Zahlungsbestätigung blieb, auch auf Nachfrage aus, Wochen später eine E-Mail von der Verwaltung mit der Anmeldungsbestätigung, in der es etwas obskur heißt, man könne gerne nachfragen, falls man “irgendwelche Zweifel bezüglich der Zahlungsmodalitäten” hat. Kann die Uni etwa nicht mehr auf ihr eigenes Konto zugreifen? Eine nette Mail von Pablo, dem Organisator, beruhigt uns: Er entschuldigt sich für die Uni-Verwaltung und versichert uns, dass alles in bester Ordnung ist.

Der Aufenthalt in Madrid beginnt damit, dass wir in der U-Bahn überfallen werden. Drei junge Männer rennen auf uns zu und ehe wir kapieren, was die eigentlich wollen, wird meinem Kollegen der Geldbeutel abgenommen. So schnell wie sie gekommen sind, sind sie auch wieder weg. Wir suchen das nächste Polizeirevier auf und bekommen einen ersten Eindruck von der spanischen Arbeitskultur: Die Polizisten sind nett, lächelnd, aber gleichzeitig vollkommen gelangweilt und langsam. Drei Polizisten stehen rauchend vor dem Revier, während man drinnen Nummern zieht und Ewigkeiten warten, bis man dran kommt. Der Polizistin, die denn Fall aufnimmt, merkt man an, wie gelangweilt sie von dem wahrscheinlich 30.sten Touristen an diesem Tag ist, dem etwas geraubt worden ist. Und wir denken uns, dass wir es besser hätten wissen können. Südländische Großstadt, 50% arbeitslose Jugendliche, wir aus 500m Entfernung als Touristen zu erkennen. Dumm gelaufen.

Das Hotel ist ein Prachtbau. Wie der Airport auch. Madrid hat viele Prachtbauten, aber dazwischen noch viel mehr völlig heruntergekommene Häuser. In den Hauptstraßen wechseln sie sich teilweise ab, die neuen Paläste und die alten Plattenbauten. Ein im Grunde genommen armes Land, das zwischenzeitlich mal viel Geld hatte, mit dem es überhaupt nicht umgehen konnte. Wenigstens hat es in Klimaanlagen investiert. Nahezu 40° Grad sind es draußen, man flüchtet von einem klimatisierten Raum in den nächsten. Bei dieser Hitze kann man doch auch nicht arbeiten, nicht denken. Kann man einem Land mit diesem Klima vorwerfen, dass die Leute jeden Mittag Siesta machen, dass die Politik und die Wirtschaft keine effizienten Abläufe kennen?

Es ist nicht ganz einfach den Konferenzraum zu finden. Während es in Augsburg Sitte ist, zu weltbewegenden Großveranstaltungen wie dem “Gesunde-Ernäherung-Infotag” mit deutlich sichtbaren Hinweisschildern den Weg von der Straßenbahnhaltestelle aus zu weisen, sehen wir weit und breit nichts, was darauf hindeutet, dass hier die MPC stattfindet. Erst suchen wir im falschen Gebäude, schließlich finden wir das richtige Gebäude und werden von einem der Organisatoren aufgelesen. Erst im ersten Stock ist der erste Hinweis zu den Konferenzräumen angebracht. Pablo, der Organisator, dem mein Kollege erzählt, was ihm in der U-Bahn passiert ist, entschuldigt sich für unsere Landsleute, hat vollstes Verständnis, wenn wir diese Stadt und dieses Land nicht mehr so toll finden, ruft täglich bei der U-Bahn Fundstelle an, ob vielleicht die Papiere wenigstens wieder auftauchen. Pablo, ist einer der Spanier, bei dem man sich denkt, dieses Land müsste doch wieder aus der Krise herausfinden, wenn alle die Effizienz von ihm hätten. Er versäumt die Hälfte der Vorträge, weil er sich mit der Verwaltung, den Busfahrern, den Restaurants und allem anderen, was zur Organisation dazugehört, herumärgern muss. Beim Abendessen bemerke ich zu ihm “It´s much troube to organize a conference?”, er meint “Yeah, especially here, in this country, because nothing works!”

Beim Rückflug unterhalte ich mich den ganzen Flug über mit einer jungen Spanierin, einer Doktorandin im Gebiet der mathematischen Methoden für Quantenmechanik. Sie wird aus Deutschland finanziert, arbeitet an einem Projekt, dass von der Max-Planck-Gesellschaft getragen wird und fliegt das erste Mal nach München, um die Arbeitsgruppe dort zu sehen. Der Professor, der die Gruppe in München leitet, ist ein Spanier und hatte in einem Interview im spanischen Fernsehen gesagt, dass er auf keinen Fall nach Spanien zurückkehren wird; das es dort unmöglich wäre eine solche Arbeitsgruppe aufzubauen, weil er dort keine Leute finden, weil die Abläufe ineffizient sind. Das Urteil von jemand, der es wissen muss. Was die Doktorandin mir sonst so erzählt von ihrem Land und den Leuten dort, klingt wenig faszinierend: Auch unter den Akademikern ist die Arbeitslosigkeit groß, klassische Branchen für die Mathematik-Absolventen, wie die Banken, stellen zur Zeit niemanden ein. Jeder von den jungen Leuten, hat das Gefühl es geht abwärts; die Regierung spart nur an Dingen wie Bildung und Gesundheit. Viele junge Leute flüchten aus diesem Land, weil sie keine Zukunft, keine Perspektive mehr sehen. Ich erkläre ihr, dass auch in Deutschland viele Post-Docs ins Ausland flüchten, weil sie mit der Situation unzufrieden sind. Sie erzählt mir, wie jeder in Spanien, der etwas werden will, die Deutschen für ihre Effizienz und Effektivität bewundert. Ich gebe zu, dass die Deutschen ein Volk sind, dass sich gerne auf hohem Niveau beschwert; ich meine, dass die Leute sehr skeptisch sind, und auch nicht dazu neigen, besonders glücklich zu sein. Sie meint, dass die Jugend Spaniens, die nun vor einer perspektivenlosen Zukunft steht, sicherlich unglücklicher ist.

Objektiv ist der heutige Lebensstandard immer noch so viel höher als der von den einstigen Bewohnern eines alten Prachtbaus, dem königlichen Palast, den wir im Rahmenprogramm der Konferenz besichtigen. Aber das ist nicht das entscheidende. Glücksempfinden hängt immer davon ab, wie sich der Zustand von Reichtum und Wohlbefinden verändert. Und im Moment zeigt die Tendenz nach unten; und niemand weiß, wie weit es noch nach unten geht.