freedom is not for free 3 | Selbstkritische Betrachtungen 16

06Mar
2022

Zum zweiten Mal seit Dezember zitiere ich die Textzeile “freedom is not for free”, die sich mir im War Memorial Museum in Seoul tief eingeprägt hat. Es ist die essenzielle Erkenntnis, dass schöne Ideale und vorgelebter Frieden alleine nicht reichen, um zu überleben, jedenfalls nicht dann, wenn die Truppen des nordkoreanischen Aggressors nur wenige Kilometer nördlich stehen und den Befehl zum Einmarsch erhalten. Nun ist die Ukraine in einer Situation wie Südkorea im damals Koreakrieg. Sie ist überfallen worden von einem diktatorischen Aggressor, der ohne Rücksicht auf eigene wie fremde Verluste seinen Einflussbereich vergrößern möchte und seine Macht sichern will.

Selbstkritisch frage ich mich, ob diese Textzeile im vorletzten Blogeintrag, gemünzt auf die Freiheitseinschränkungen der Corona-Politik, nicht eine unangemessene Relativierung dieser Botschaft war. Gut, damals, Ende letzten Jahres hat diese kriegerische Eskalation, bis auf wenige Dauerkriegspropheten, niemand kommen sehen. Jetzt geht es nicht mehr um Freiheit für Künstler und Diskothekenbetreiberinnen, oder um Arbeitsbedingungen für Prostituierte oder Veranstaltungstechniker. Jetzt geht es um Krieg und Frieden. Und vielleicht war der Atomkrieg noch nie so nahe wie jetzt, zumindest in der Zeit, in der ich nun seit gut 34 Jahren auf dieser Welt lebe.

Ich habe mich die allermeiste Zeit in diesem Land sehr gut regiert gefühlt. Wir können uns glücklich schätzen, von Real-Life-Trollen wie Trump und Johnson verschont geblieben zu sein und von besonnenen und konsensorientierten Staatsfrauen und -männern wie Angela Merkel und Olaf Scholz regiert zu werden. Natürlich war es ein bisschen peinlich, wie Merkel die EU darauf trimmte, strengere Emissionsrichtlinien für Neufahrzeuge lange zu verhindern. Vielleicht war es noch ein bisschen peinlicher, Nord Stream 2 gegen den Widerstand der restlichen EU durchzudrücken und das ein Jahr nach der Annexion der Krim – und gerade jetzt weiß man es besser. Aber gut, irgendwie kann man das schon nach alles als einen Kompromiss aus einer wertegeleiteten und einer pragmatischen wirtschaftsfreundlichen Politik verkaufen. Einen Kompromiss aus EU-Interessen und egoistischen nationalen Interessen. So schade es ist, dass nationale Interessen eine so große Rolle spielen, so sehr muss man auch akzeptieren, dass es keine demokratischen Mehrheiten für einen europäischen Bundesstaat gibt.

Aber bei dem kategorischen Nein der deutschen Politik zu Waffenlieferungen an die Ukraine kurz vor Ausbruch des Konflikts habe ich mich für die deutschen Poltiker:innen geschämt. Was hat das bitte mit “Lernen aus der Geschichte” zu tun? Was haben wir daraus gelernt, wo doch die Freiheit und der Rechtsstaat nur durch den Waffeneinsatz der Alliierten wiederhergestellt werden konnte? Wer sich gegen Russland verteidigen will, wer die freie und selbstbestimmte Welt gegen eine menschenverachtende Diktatur schützen, dem wird das nur mit Waffen gelingen.

All die Relativierungen wie “Der Westen hat auch Angriffskriege geführt” oder “Die NATO ist schon weit an Putin herangerückt” verkennen den fundamentalen Unterschied, dass die Staatsführer:innen des Westens demokratisch legitimiert sind und das Selbstbestimmungsrecht der Völker ausüben. Dass auch manche demokratisch legitimierte Entscheidungen im Lichte späterer Erkenntnisse sich als vollkommene Fehlentscheidungen erweisen, das ist in meinen Augen eine Selbstverständlichkeit. Aber die Demokratie hat die Möglichkeit zur Selbstkorrektur, hat Institutionen wie Gerichte, die Entscheidungen der Exekutive kassieren und kann vor allem Kompromisse zwischen unterschiedlichen Interessen finden, die Gegensätze vereinen.

Wer jetzt was tun will, kann jetzt an das ukrainische Militär spenden. Natürlich kann man auch ein blau-gelbes Fähnchen in sein Facebook-Hintergundbild malen, aber das wird Putin sicherlich erheblich weniger beeindrucken als ein paar Stinger-Raketen mehr, die dann seine Flugzeuge bedrohen. Der Pazifismus ist aus meiner Sicht ideologisch am Ende in einer Welt, in der Freiheit nur mit Waffen verteidigt werden kann.

Natürlich frage ich mich, ob ich das nicht alles anders sehen würde, wäre ich bspw. im Umfeld von Putins Oligarchen sozialisiert worden. Wahrscheinlich. Aber was ist unsere ganze Sozialisation im Frieden und in der Freiheit, in einem demokratischen Rechtsstaat, in einer bunten und diversen Welt, eigentlich noch Wert, wenn man einen Krieg nur mit einer Ukraine-Flagge neben der Regenbogen-Fahne und einer nett gemeinten Friedensbotschaft bekämpfen will?

Den Weg zur Freiheit gibt es nicht umsonst. Und er führt über viele verschlungene Umwege. Hoffentlich ist der Pazifismus nur einer dieser Umwege und nicht das Ende der Freiheit.