Wenig faszinierende Strategien 21 | Das Drama der Menschheit 11

09Sep
2018

Es fällt mir schwer, die Ereignisse in Chemnitz unkommentiert zu lassen, auch wenn ich in diesem Blog nie vor hatte, das tagespolitische Geschehen zu kommentieren. Mit “Ereignisse” meine ich weniger den Mord bzw. Totschlag (Ermittlungen laufen noch) an dem Deutsch-Kubaner. So tragisch das ist – es gibt hunderte mögliche Auslöser, für das, was danach kam. Für etwas, das wir leider noch öfter erleben werden. Die Rechten, die Linken, die Polizei dazwischen. Die so offenkundige Polarisierung. Die Gewalt. Der beiderseitige Unwille die anderen zu verstehen. Rechts wie links.

Natürlich, die Bilder von “Wir sind mehr” mit all den bunten Transparenten und der großen Zahl junger Leute wecken natürlich erst mal Sympathien. Wir überlassen den Staat nicht den Sympathisanten der Faschisten! Eine frohe Botschaft. Viel weniger froh sind die Textzeilen einer Band wie “Feine Sahne Fischfilet”, die schon auch mal solche Zeilen wie “Die Bullenhelme, die sollen fliegen / Eure Knüppel kriegt ihr in die Fresse rein!” gedichtet haben. Auch wenn sie nicht das in Chemnitz gesungen haben, aber eben jene Band war mit von der Partie beim “Wir sind mehr” Protestkonzert. Es ist eine wenig faszinierende Strategie, Linksextremismus mit Rechtsextremismus zu bekämpfen.

Delegitimiert dies den ganzen friedlichen Protest gegen rechts? Ich denke, zumindest partiell schon. Kann man diese Portion an Extremismus bei den Linken mit den Extremisten bei den Rechten vergleichen? Ist es wirklich lediglich ein legitimer Protest an der Migrationspolitik der Regierung, der nur von ein paar wirren Chaoten gestört wird, die gerne mit Hitler-Grüßen provozieren? Ich denke, nein, vergleichbar ist das nicht. Die größere Gefahr für den inneren Frieden geht derzeit von rechts aus. Denn die rechten Demos waren von vornherein ein Bündnis, in dem so viele Organisationen an Bord waren (wie bspws. die Identitären und Pegida), deren Primärbotschaft die Verachtung fremder Menschen ist, wo der Subtext der Kritik an der Regierung mehr oder weniger untergeht. Dennoch, viele der Demonstranten wollten nur ihre legitime Kritik an der Regierung zum Ausdruck bringen. Eine politische Meinung wie “Es soll bitte alles so bleiben wie es ist, einschließlich der Zahl der Ausländer in meinem Dorf.” ist eine urkonservative Einstellung. Da können noch so viele junge Menschen, wie beispielsweise auch ich, mit einer Welt sympathisieren, in der die Grenzen schrittweise abgebaut werden. Es ist das gute Recht von Gemeinschaften, in einem demokratischen Votum für geschützte Grenzen einzutreten.

Es gehört zum Drama der Menschheit, dass politischer Erfolg oft durch Polarisierung entsteht. Dass dadurch Lager entstehen, die nicht mehr miteinander kompromissfähig sind, teils weil sie die Scheuklappen ihrer Ideologien aufsetzen, teils weil sie sich missverstehen. Im letzten Spiegel hat eine Deutsch-Afghanin einige der Missverständnisse zwischen Deutschen und Flüchtlingen sehr schön erklärt:

“Das Wort ‘Hartz IV’ oder ‘Sozialhilfe’ wird im Persischen und auch auf arabischen Schildern in deutschen Behörden immer wieder mit dem Wort ‘Gehalt’ übersetzt. So entsteht in den Herkunftsländern die Vorstellung, dass Deutschland jedem ein ‘Gehalt’ bezahlt. […] Manche glauben: Wenn sie auf Kosten von ‘Ungläubigen’ lebten, rechnet ihnen Gott das nicht als Sünde an.
[…]
Auch die Liebe wird gänzlich anders geregelt, die tiefe Erfahrung, dass man jemanden liebt um seiner selbst willen, ist äußerst selten. Ein Mann mit traditionellen islamischen Hintergrund zeigt seine Liebe, indem er Geschenke macht, bezahlt, sich kümmert. Umgekehrt kann damit ein Besitzanspruch einhergehen. Wenn solche Männer verlassen werden, entsteht oft ein Problem. Sie haben nicht gelernt mit Verlust umzugehen, fühlen sich dann wertlos, haben vor den Freunden ihr Gesicht verloren. Deshalb muss der Mann die Frau zurückerobern, seine Ehre wiederherstellen, oft mit Terror am Telefon oder Stalking.”
Zohre Esmaeli, im Spiegel 36/2018

Vor allem werden einige der Probleme mit Flüchtlingen in diesem Artikel so präzise und ehrlich benannt, so dass garantiert ein großer Teil des Klientels eines “Wir sind mehr” Konzerts einer solchen Autorin rechte Tendenzen unterstellen würde. Bei einer Deutsch-Afghanin, die sich für Integration engagiert, ist das jetzt natürlich etwas schwer möglich. Das macht die pauschalen, ungerechtfertigten und menschenverachtenden Vorurteile auf der rechten Seite über den “Messer stechenden Migrantenmob” (Alice Weidel) natürlich keinen Deut besser. Ganz im Gegenteil, auch so etwas trägt nur zur weiteren Polarisierung bei. Aber das man politisch mehr oder weniger heimatlos wird, wenn man zu der Einsicht gelangt, dass der richtige Weg in einer grundsätzlichen Frage ein komplizierter und verschlungener Pfad durch die Mitte ist, und “rechts und links” sich eben nicht in “Schwarz und weiß” kategorisieren lässt, das ist ein Teil des Dramas der Menschheit.