Wenig faszinierende Strategien 19 | Das Drama der Menschheit 8

24Sep
2016

Wir leben nun ganz offiziell in “postfaktischen Zeiten” und ich kann diesen Neologismus nicht geeigneter erklären, als es Jan Böhmermann im neo Magazin “Bilderrätsel” getan hat. Ein auf einem Tisch befindliches, kopulierendes Pärchen in Briefträgerkostümen stellt für den rätselnden Betrachter den Hinweis auf den Phantasiebegriff “Post-Fuck-Tisch” dar, phonetisch identisch zum gesuchten Begriff. Den Sinngehalt dieses Begriffes kann man wohl kaum würdiger begegnen. Damit ist dann eigentlich auch alles gesagt:

“Wenn Sie nicht ganz genau wissen, was es bedeuten soll: ‘postfaktisch’ heißt im Grunde genommen so was wie ‘bisschen doof’.”
Jan Böhmermann im neo Magazin Royale, Folge vom 22.09.2016

Ein anderer Comedian hat schon Jahre zuvor, lange vor “Flüchtingskrise”, Trump, Brexit, etc. den Unterschied zwischen gefühlter und tatsächlicher Realität in der öffentlichen Wahrnehmung schön pointiert dargestellt:

“Heute gilt auf Reisen eine kaputte Klimaanlage als Gefährdung der Existenz. Rentner verklagen die Bahngesellschaft auf Schmerzensgeld, weil sie durch den Luftzug einen Schnupfen davongetragen haben, Studenten nörgeln, weil ihr Grundrecht auf unbegrenzte Mobilität Geld kostet, und Damen verzweifeln, weil sie im Glauben an die Unfehlbarkeit ihres fahrbaren Untersatzes ohne Jacke losgefahren sind und nun eine halbe Stunde bei 18 Grad im Schatten auf den ADAC-Pannenservice warten müssen. Das Leid auf der Erde ist vielleicht ungleich verteilt, aber es wird überall gleich stark empfunden. Andere Generationen lebten im Krieg. Wir haben Stau.”
Dieter Nuhr in “Das Geheimnis des perfekten Tages”

Es ist eine wenig faszinierende Strategie, wie es die Teile der Weltbevölkerung, denen es objektiv am besten geht, immer besser gelingt, ihre vermeintliche Bedrohung zu inszenieren. Zum Drama der Menschheit gehört es, dass unsere subjektive, egozentrische Wahrnehmung gar nicht absolut geeicht sein kann. Das nächste Problem ist, dass die Fülle an Fakten und die Komplexität der Kausalitätsketten, die unser Befinden bestimmen, einen Großteil der Bevölkerung heutzutage kognitiv überfordert. Gefühlte Bedrohung und echte Bedrohung haben vermutlich besser zusammengepasst, wenn der Löwe sich der Höhle genähert hat, als wenn nun Politiker die Gefühle ihrer Wähler in Zeiten von Migrationsströmen und Freihandel interpretieren.