Faszinierende Metastrategien 2 | Wenig faszinierende Strategien 3

15Dec
2012

Gegeben sei ein Konflikt zwischen zwei Diskutanten und wir nehmen an, dass für beide die gleichen rationalen Schlüsse bei gleicher Ausgangslage möglich sind. Weiterhin nehmen wir an, dass vollständige Information vorliegt, also das beide die gleichen für den Konflikt relevanten Informationen kennen. Unmittelbar stellt sich die Frage, wo nun noch überhaupt ein Konflikt bestehen kann: gleiche Ausgangslage, vollständige Information, perfekte Urteilskraft der Diskutanten – in der Multiagentenlogik folgt unmittelbar, dass beide Agenten (Diskutanten) für jedes gegebene Problem zum gleichen Schluss kommen müssten. Warum funktioniert das in der realen Welt zumeist nicht? Weil die “vollständige Information” und die “perfekte Urteilskraft” bei der Antizipation des Weltbildes des anderen aufhört. “Weltbild” schließt so viele Dinge, wie die gesamten Lebenserfahrungen, den politischen Standpunkt oder die ideologische Prägung mit ein. Dabei erkennen wir durchaus das Weltbild des anderen, also können wir es theoretisch zumindest als einfaches Modell rezipieren und “darin denken”, was bereits hinreichend sein kann um einen beliebigen Konflikt mit einem anderen Menschen mit dieser einfach Erkentnis aufzulösen:

Ich erkenne, dass dies in deinem Weltbild Sinn macht. Gleichzeitig ist es in meinem Weltbild Schwachsinn. Wir können an dieser Stelle aufhören, zu streiten, denn dieser Konflikt ist für unsere Bekanntschaft/Freundschaft/Zusammenarbeit nicht weiter relevant. Wir können die Antizipation des jeweils anderen Weltbildes (das durch einen lange Reifeprozess entstanden ist) als Bereicherung auffassen und darüber beizeiten nachdenken. Unser Weltbild wird sich sicherlich noch ändern im Laufe des Lebens. Vielleicht kommen wir dann in diesem Konflikt sogar irgendwann einmal zu dem gleichen Schluss.

Dies Fähigkeit, die ich umschreiben möchte mit “Weltbild-Antizipationsfähigkeit”, könnte das soziale Leben unter den Menschen um ein vielfaches friedlicher machen und selbst die Tatsache, dass in unserer Kultur Feindschaft besser als Freundschaft gedeiht, könnte mit einer Kultur der Weltbild-Antizipationsfähigkeit nivelliert werden; wir könnten friedlicher und freundlicher miteinander umgehen. Da diese Idee faszinierend ist und das Weltbild des anderen eine Menge von Strategien ist, nenne ich dies eine faszinierende Metastrategie.

Wenig faszinierend dagegen ist, dass diese Idee unter Begriffen wie Respekt und Toleranz seit Jahrtausenden in unserer Kultur gepredigt wird. Dabei sind diese Begriffe sinnleer, solange sie von Menschen gebraucht werden, die nicht in der Lage sind oder nicht willens sind, einmal im Weltbild des Anderen zu denken. Stattdessen ist die Welt voller Weltbild-Missionare, Menschen die ihre Energie darin verschwenden, anderen Menschen ihr Weltbild aufzudrängen, man kennt das als politische oder religiöse Ideologien.

Wenig faszinierend ist auch, dass diese Strategie für den politischen Konsens nicht funktioniert. Ein politischer Konsens hat das Ziel einen möglichst großen gemeinsamen Nenner vieler Weltbilder zu finden und am Ende mit einem möglichst großen Minimalkonsens der Weltbilder aus der Debatte herauszugehen. Weltbild-Missionierung und Erklärung des gegnerischen Weltbildes zu einer schwachsinnigen Strategie sind hierbei die bewährtesten Methoden der politischen Debatte; Weltbild-Antizipation wird sich in diesem Bereich nie durchsetzen. Stattdessen geht es um den Streit um Meinungen und um Worte, zum dem Hermann Hesse in “Siddhartha” schreibt:

“Laß dich aber warnen, du Wißbegieriger, vor dem Dickicht der Meinungen und vor dem Streit um Worte. Es ist an Meinungen nichts gelegen, sie mögen schön oder häßlich, klug oder töricht sein, jeder kann ihnen anhängen oder sie verwerfen.”