Ende und Neuanfang 8 | Das Drama der Menschheit 14

19Oct
2021

Der Sommer neigt sich dem Ende entgegen, das Herbstlaub wird goldfarben und ich bin in der leicht sentimentalen Stimmung, in der Zeit ein wenig zurückblicken zu wollen. Das Ende und der Neuanfang bezieht sich dabei nicht etwa auf das Weltgeschehen oder gar ein konkretes Ereignis (wie die Wahl zum deutschen Bundestag), sondern ausnahmsweise mal ganz persönlich auf mein Leben. Eine ziemlich exakt fünf Jahre währende Epoche ist vor kurzem zu Ende gegangen – mein erster richtiger Job (wenn man das Doktorandendasein zuvor mal außen vor lässt) ist passé. Ich blicke zurück auf meine ersten wirklich großen C++ Projekte mit mehreren hunderttausend Codezeilen, das erste Mal ernsthaftes Arbeiten unter Linux und eine kollaborative Arbeit in einem agilen Team, die mal mehr oder weniger gut funktioniert hat. Auf jeden Fall habe ich unglaublich viel lernen dürfen, was sehr schön war. Hach, habe ich vor dem Arbeiten unter Linux die Visual Studio Entwicklungsumgebung von Microsoft (zuerst mit Visual Basic, dann mit Visual C++) einst geliebt. Und heute frage ich mich, warum diese Firma aus Redmond immer noch so viel verkauft. Wer arbeitet wirklich gerne mit Outlook und Office, wo es doch an freier Software so viele bessere Alternativen für Dokumente und Mails gibt? Wie auch immer, ich habe nun im neuen Job wieder einen Arbeitslaptop mit Windows und komme auch damit klar.

Schlagen wir den Bogen von quasireligiösen Linux vs. Windows Streitfragen zu ernsthafteren Themen: Ich recherchierte im Arbeitskontext zur richtigen Verwendung von Threads im Qt-Framework, stoße auf diesen erhellenden Blogbeitrag von einer Maya Posch und lese wenige Klicks weiter einen Ausschnitt aus ihrer Biographie der einen bestürzt zurücklässt: Intersexualität ist eben kein Thema, dass es nur in dämlichen Toilettenwitzen einer Interimsparteivorsitzenden einer sogenannten Volkspartei gibt, sondern das auch dramatische Biographien auslöst: Der Weg von Thijs Posch zu Maja Posch ging über dutzende Klinikbesuche, einen Suizidversuch und einen Ortswechsel von den Niederlanden nach Deutschland, weil D – man höre und staune – in den frühen 10er Jahren in den Fragen der Anerkennung Intersexueller tatsächlich weiter war als NL.

Gut, der vorangehende Abschnitt hat nichts mit mir zu tun. Aber diese Geschichte passt leider viel zu gut zum Drama der Menschheit. Binarität mag gut und praktisch sein für die Programmierung von Maschinen, aber in den Geschlechterfragen sein Weltbild auf zwei unveränderliche Geschlechter festzulegen, ist eine ziemlich bornierte Beschränkung. Immerhin bin ich mit solchen Fragen zumindest indirekt früh in Berührung gekommen als jemand, der in seiner Jugend zeitweise gerne die sehr düstere Musik von Anna-Varney (in ihrem Projekt Sopor Aeternus) gehört hat, die ihre Intersexualität in Liedern wie “Drama der Geschlechtslosigkeit” thematisiert. Ich höre heute solche Musik nur noch selten. Die großartige Melancholie in dieser Kunst spricht mich mittlerweile kaum mehr an. Zuviel Optimismus, Grundzufriedenheit und vielleicht auch einfach stabile Verhältnisse sind in mein Leben eingekehrt, als das ich mich noch in solchen Stimmungswelten wiederfinde.

Mein Optimismus erstreckt sich auch darauf, dass nach einem “normalen” Post-Corona-Sommer nun auch ein relativ normaler Post-Corona-Winter folgt. Dabei will ich mich über den letzten Winter gar nicht beschweren, ich war so viel in den Bergen wie nie zuvor, auch Tages-Skitouren waren jederzeit möglich. Dennoch werden die bayerischen Alpen auf Dauer ein wenig eintönig und ich hoffe dementsprechend, auch die schweizerischen und österreichischen Berge auf Tourenskiern erkunden zu können, wenn sie bald in malerisches Weiß gekleidet sein werden. In der ewigen Alpinistenfrage “Sind die Berge im Sommer oder im Winter schöner?” votiere ich für letzteres und freue mich gleichermaßen über die letzten Sommertouren, bei denen man nun schon die Schneefallgrenze kratzt (auf der Zugspitze bereits im September), wie über den Beginn der Wintersaison. Auf den Neuanfang!