Selbstkritische Betrachtungen 9 | Wenig faszinierende Strategien 13

18Aug
2015

Viele, die den jetzigen Zustand der Wissenschaften bemängeln, halten Phänomene wie das Voranstellen von Karriereorientierung vor dem Forscherdrang und das Abhalten “obskurer” Konferenzen für aktuelle Probleme des Wissenschaftsbetriebs. Lesen wir dazu bei Dijkstra, 1982:

A few remarks about “the sociology of science” or “how to make a career”. A young mathematician who lectures in Poland on EOL’s and ETOL’s etc. told me his motives for entering automata theory. He did not particularly like the subject, nor had he any belief in its relevance. But he found the subject easy, had observed relatively little competition, and, in his country, could earn a living with it because the university authorities confused it with computing science anyhow. At first I was shocked by his cynicism — he was a young man with most of his life still before him. At second thought I found it harder to blame him: he was perfectly honest about it and I could only pity him for having so few illusions (although, of course, this may save him some disappointments).
Next I observed a systematic application of the saying “In the land of the blind the one-eyed is king.”. People try to make careers in computing science by frequenting in this respect underdeveloped countries and obscure conferences. I had seen a few of such cases in Westem Europe, behind the iron curtain the phenomenon is very pronounced: it was sometimes embarrassing to hear which of my countrymen had frequented their places. And then the man who, later this fall, would go for a month to Singapore to lecture about Lindenmayer systems! That must be just what they need…
aus: E. W. Dijkstra, Selected Writings on Computing: A personal Perspective

Aber wenigstens das Auflisten und Aneinanderreihen von spacigen Buzzwords, um seiner Arbeit einen hipperen Touch zu verleihen, muss doch ein Phänomen des Internetzeitalters sein! Oder nicht? Lesen wir also weiter:

Lousy use of language —and therefore confusing— was a fairly general phenomenon. Allow me to end with the following anthology of crazy expressions. (Most of them are meaninglass; if they mean something, it is something nonsensical.)
“virtual systems”
“virtual terminals”
“logical names”
“physical names”
“logical abstractions”
“mapping of one level of abstraction onto the layer below”
“data structures are mapped into several layers of abstraction”
“a programmer efficiency index”
“an effective implementation view of the corporate data model”
“different levels of abstraction of view of data”
“dynamic change”
and, to crown the confusion,
“the computer playing this game”.
No, gentlemen, three times No: computers don’t play.
aus: gleiche Quelle

Vielleicht lässt sich auch schon bei den letzten selbstkritischen Betrachtungen nicht alles auf das 21. Jahrhundert schieben.

Wenig faszinierende Strategien 8 | Das Drama der Menschheit 4

18May
2014

In “Es war 1mal – Die verborgene mathematische Logik des Alltäglichen” liefert John Allen Paulos die mathematische und psychologische Begründung, für das was Martin Walser literarisch formulierte als “[…] Wir merken deutlicher, was uns angetan wird, als was wir anderen antun […]”:

“Während die meisten von – jedenfalls nach eigener Einschätzung – versuchen, freundlich und rücksichtsvoll anderen gegenüber zu sein, finden wir oft, dass die “anderen” gedankenlos und unverschämt uns gegenüber sind. Dieses Phänomen lässt sich teilweise aus Arithmetik und Wahrscheinlichkeitsrechnung ableiten;
[…]
Die psychologische Labilität hilft auch, zu erklären, warum wir uns gerne eher gekränkt denn als kränkend empfinden. Zum Beispiel besteht ein bemerkenswerter Unterschied zwischen dem Grad an offener Anerkennung, den andere benötigen, um sich von uns als gemocht und respektiert zu fühlen, und dem Grad an privater Missbilligung, den wir ihnen gegenüber haben können, ohne deshalb aufzuhören, sie zu mögen und zu respektieren. Positive und negative Bewertungen sthen nicht auf der gleichen Stufe.”

Auf das alltägliche hinunter projeziert, liefert das dann eine ganz gute Erklärung, warum kaum jemand gerne ein Produkt kaufen würde, dass fast genau so viele 1/5 Punkte Bewertungen wie 5/5 Bewertungen hat.

Selbstkritische Betrachtungen 8 | Wenig faszinierende Strategien 7

22Feb
2014

All die Facetten des menschlichen Lebens, die etwas mit dem Schönen und Wahren zu tun haben, waren immer nur schwer in Einklang mit den Gesetzen des kurzfristigen Wettbewerbs um Aufmerksamkeit, Renomee und Marktanteilen zu bringen. Vielleicht am augenfälligsten erscheint dies bei der Wissenschaft, die in den Augen der Wissenschaftsverwalter als genauso messbar wahrgenommen wird, wie sie wahr sein sollte.

“Das Verhältnis karriereorientierter Wissenschaftler zur Wissenschaft entspricht dem von Prostituierten zur Liebe.”

schreibt Nassim Nicholas Taleb in “Antifragilität”. So sehr man ihm in der Glorifizierung der “Klassiker”, des lange schon bestehenden und sich bewährt habenden (all dessen, was sich als antifragil gezeigt hat), einen gewissen Reaktionismus vorwerfen darf: Um die Wissenschaftsverwaltung des 21. Jahrhunderts steht es nicht zum besten. Nicht, wenn ein Homöopathie-Bachelor kurz vor der Akkreditierung steht, gegen die aber auch kaum was mehr entgegen spricht, da es sich ohnehin nur um eine formale Prüfung handelt. Nach all dem gigantischen Aufwand für die Akkreditierung, die unter anderem sicherstellen soll, dass jeder der die Grundvorlesungen einer bspws. technischen oder formalen Disziplin gehört hat, auf mehr oder weniger demselben Wissenstand ist: Wenn auch die offensichtliche Scharlatanerlie mit den Messwerkzeugen der Wissensmessung nicht als Unsinn entlarvt wird, dann ist es Zeit für das logische “ex falso quodlibet”. Aus einem logischen Fehler folgen beliebige Fehler. Damit wage ich zu behaupten, dass der ganze Akkreditierungsunsinn (der nebenbei bemerkt eine große Menge Denkzeit begabter Wissenschaftler verschwendet hat) nicht viel wert sein kann, wenn soetwas dabei herauskommt.

Selbstkritische Betrachtungen 7 | Das Drama der Theorie 1

02Jan
2014

Erfolgreiche Vertreter der Wirtschaft werden wahrscheinlich immer mit einem halb lächelnden, halb mitleidigen Auge auf die Theoretiker in den akademischen Gefilden blicken. Auch Dobelli zeigt sich in seinem – sehr lesenwerten – Werk “Die Kunst des klugen Handelns” nicht als Freund der Theoretiker:

“Wer hat den automatischen Webstuhl erfunden, die Dampfmaschine, das Automobil, die Glühbirne? Kein Theoretiker und kein offizielles Forschungslabor. Es waren allesamt Tüftler. Wir überschätzen die Intellektuellen, die Akademiker, die Theoretiker, die Schriftsteller, Autoren und Kolumnisten – und unterschätzen die Praktiker und die Macher. Ideen, Produkte und Fähigkeiten kommen vorwiegend durch Probieren und Abschauen zustande, weniger durch Nachlesen und Nachdenken. Nicht durch das Studium von Schwimmbüchern haben wir schwimmen gelernt. Nicht dank den Ökonomen haben wir eine Wirtschaft. Nicht die Lehrstühle für Politikwissenschaften halten unsere Demokratie aufrecht. Ich habe Sympathien für Terence Kealeys Ansicht: Nicht Universitäten führen zu einer prosperierenden Gesellschaft, sondern prosperierende Gesellschaften unterhalten Universitäten, weil sie es sich leisten können. Insofern gleichen Universitäten den Opernhäusern.”
Rolf Dobelli in “Die Kunst des klugen Handelns

Was bleibt den Theoretikern an Legitimation, fragt man sie nach ihrem Beitrag für die Gesellschaft – von der sie immerhin in aller Regel finanziert werden? Ein übergeordneter Wert der Theorie, ich nenne es gerne die “intellektuelle Ästhetik” die eine elegante, formale Formulierung mit sich bringt. So löst man keine Probleme, so schafft man eher neue Probleme einer gewissen artifiziellen Art, und doch: Auch die Opernhäuser kultivieren ihre Art der Ästhetik, die einem Großteil der Allgmeinheit nicht – oder nur zu einem sehr oberflächlichen Teil – zugänglich ist. Also lasst uns Theoretiker unsere Wissenschaft kultivieren, weil unsere Gesellschaft so weit ist und so sehr prosperiert, dass sie sich genau das leisten kann.

Sehr vereinfacht ausgedrückt: Warum beschäftigten sich die Theoretiker der Moderner mit derart praxisferner und enigmatisch notierter Theorie? Weil es geht.

Zitate 11 | Wenig faszinierende Erkenntnisse 6

10Jan
2013

“Glaub mir, es gibt keinen großen Schmerz, keine große Reue, keine großen Erinnerungen. Man vergißt alles, die große Liebe sogar. Das ist am Leben das Traurige und zugleich Passionierende. Es gibt nur eine gewisse Art, die Dinge zu sehen, und die kommt von Zeit zu Zeit an die Oberfläche. Darum ist es trotz allem gut, wenn man eine große Liebe, eine unglückliche Liebe in seinem Leben zu verzeichnen hat. Das gibt uns wenigstens ein Alibi für die Verzweiflung, die uns ohne Grund befällt.”

Albert Camus in “Der glückliche Tod”