Wenig faszinierende Erkenntnisse 14 | Faszinierende Strategien 19

31Jul
2016

“Gibt es irgendein anderes Land [außer den USA] auf der Welt, wo jemand in einem hochkarätigen Meeting sagen kann: »Steuerbefreiung für die Reichen! Das löst unsere Probleme!« Und alle anderen am Tisch murmeln: »Hm, könnte funktionieren.« In jedem anderen Land würden die Leute sagen: Seid ihr wahnsinnig geworden? Aber in Amerika wird das Geld angebetet! Alle glauben, dass das Geld der Reichen nach unten durchsickert – dass der steigende Wasserpegel alle Boote mit in die Höhe trägt und dass man nur die Reichen noch reicher machen muss, dann werden sie schon neue Jobs schaffen …

Und? Tun die Reichen das?

Nein! Ich habe kürzlich ein Interview mit einem amerikanischen Milliardär gelesen. Der sagte: »In den letzten zehn Jahren habe ich mir drei Autos gekauft. Damit die Sache mit dem trickle-down effect funktioniert, hätte ich im selben Zeitraum 10 000 Autos kaufen müssen.« (langes, leises Lachen) Wer braucht 10 000 Autos! Also nein, sie geben das Geld nicht der Gesellschaft zurück, sie horten es!”

(Martin Amis in einem Interview in der Zeit, 31/2016)

Das der Trickle-Down-Effekt einfach nicht funktioniert, ist eine wenig faszinierende Erkenntnis. Für die finanzielle Elite dieser Welt ist es eine faszinierende Strategie, den Entscheidungsträgern in den westlichen Industrienationen das Märchen des Trickle-Down-Effekts als wirtschaftspolitische Plausibilität verkaufen zu können.

Faszinierende Ideen 3 | Faszinierende Metastrategien 12

07Jul
2016

Von faszinierenden Ideen war schon lange nicht mehr die Rede in diesem Blog, zuletzt hier und hier vor über 5 Jahren. In seinem Artikel Mental Models I Find Repeatedly Useful listet der Autor (Gabriel Weinberg) eine Reihe von “mental models” auf, die es leichter machen, die Welt zu verstehen. Ich würde diese Zusammenstellung vielleicht eher als Liste faszinierender Konzepte und Ideen begreifen. Sein Gedankensystem derart zu systematisieren finde ich jedenfalls eine faszinierende Metastrategie. Viele der (psychologisch begründbaren) Denkfallen kommen einem bekannt vor, wenn bspws. Kahnemann (Thinking fast, thinking slow) oder Taleb (Antifragilität; der schwarze Schwan) gelesen hat. Ein paar andere Konzepte und Modelle sind einem sicherlich in den verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen, wie Mathematik, Informatik, Physik oder Wirtschaftswissenschaften schon einmal begegnet. Über die Erklärung der einzelnen Modelle, Ideen oder Konzepte könnte man natürlich noch trefflich diskutieren. Über Pareto-Optimalität schreibt Weinberg:

Pareto Efficiency  — “A state of allocation of resources in which it is impossible to make any one individual better off without making at least one individual worse off…A Pareto improvement is defined to be a change to a different allocation that makes at least one individual better off without making any other individual worse off, given a certain initial allocation of goods among a set of individuals.”

Vielleicht könnte man das noch in Verbindung zu dem Problem der Trade-Offs bringen: Da sehr viele verschiedene Größen, die die Güte von Zuständen unseres Daseins sehr stark antikorrelliert sind, bewegen wir uns bei der Auswahl zwischen verschiedenen Optionen sehr oft innerhalb von Pareto-Optima. Die Antwort auf die Frage “Ist es besser, sich für [Produkt]/[Studium]/[potentiellen Partner] A oder B zu entscheiden?” wird ganz oft lauten: Diese Optionen sind Pareto-unvergleichbar. In unterschiedlichen Dimensionen ist jeweils eine andere Option besser. Eine Gewichtung dieser Optionen ist nicht sinnvoll und wäre willkürlich.

Kann aber gut sein, dass ich da einem Cognitive Bias unterliege, der in der zitierten Zusammenstellung höher gewichtet ist als die Pareto-Optimalität…

Wenig faszinierende Erkenntnisse 13 | Faszinierende Metastrategien 11

08May
2016

Die Erkenntnis, dass die zunehmende Ungleichheit in der Verteilung des Vermögens den Frieden und Stabilität unserer Welt gefährdet, ist wenig faszinierend. Es mag die ein oder anderen Profiteure geben, von einfachen Sicherheitsdienstleistern bis hin zu internationalen Anwaltskanzleien, aber es ist kaum übersehbar wie dieses Auseinanderdriften der Vermögen die Gesellschaft entsolidarisiert und die Entscheidungsträger für ein Handeln im Sinne des Gemeinwohls demotiviert. Der anonyme Whistleblower der Panama Papers schreibt in seinem Manifest:

“Wer das meiste Geld hat, findet immer einen hilfsbereiten Anwalt für seine Zwecke, sei es die Kanzlei Mossack Fonseca oder eine andere, von der wir noch nichts wissen. […]

Historiker wissen, dass Besteuerung und ungleiche Machtverhältnisse in der Vergangenheit bereits Revolutionen ausgelöst haben. Damals war militärische Macht notwendig, um die Menschen zu unterdrücken, während es heute genauso effektiv oder noch effektiver ist, die Menschen vom Zugang zu Informationen abzuschneiden – auch weil das im Verborgenen geschieht. Aber wir leben in einer Zeit günstiger, grenzenloser Datenspeicher und schneller Internetverbindungen, die nationale Grenzen überschreiten. Es sieht also sehr danach aus, dass die nächste Revolution digital sein wird.

Vielleicht hat sie aber auch schon begonnen.”
aus: Süddeutsche Zeitung – Panama Papers – das Manifest von John Doe

Vielleicht ist Whistleblowing eine faszinierende Metastrategie für eine weniger ungleiche Gesellschaft.

Wenig faszinierende Strategien 17 | Freedom is not for free 1

06Feb
2016

Es ist wenig faszinierend mitanzusehen, wie einst politische Randgruppen nun in die Mitte der Gesellschaft drängen. Ich könnte es nicht besser ausdrücken, als es das Resümee der Titelgeschichte (“Die Hassprediger”, gemeint ist die Partei AfD) des aktuellen Spiegels auf den Punkt bringt:

“Flüchtlinge werden weiter kommen, Kulturen und Religionen mischen sich, deutsche Familien sehen anders aus als vor 40 oder 50 Jahren, das Liebesleben ist mannigfaltig und eigensinnig – die deutsche Wirklichkeit wird komplizierter, und warum auch nicht? Die meisten Menschen kommen gut damit zurecht, unser Leben heute ist freier, sicherer, gesünder und in den meisten west- und ostdeutschen Städten schöner als noch vor 30 Jahren.
Aber jene, die all das abstößt, kämpfen mit dem Mut der Verzweiflung. Und es wäre nicht das erste Mal, dass in Europa der Fortschritt der Freiheit durch radikale Minderheiten zu einem jahrelangen Umweg gezwungen worden wäre.”
Spiegel 6/2016, “Der Aufstieg der AfD wird zur Gefahr für die politische Kultur”

Ich hatte nie vor, dass dieser Blog politisch werden sollte. Gleichzeitig ist “Freiheit” ein ganz entscheidendes Thema für mich. Lange sah es so aus, als wäre unsere freiheitliche Gesellschaft eine unumkehrbare Errungenschaft und unser Diskurs darüber eher akademischer Natur. Als mir “Freedom is not for free” bei der Betrachtung der “Wutbürger” auf der Straße einfiel, da war mir noch nicht so klar, dass diese “Bewegung” um einen politischen Arm ergänzt wird, der ernsthaft vor hat ein Werk der Zerstörung an unserer freiheitlichen Gesellschaft zu vollbringen. Jetzt zeichnet sich langsam ab, dass eine großteils irrationale Angst vor dem Neuen und Unbekannten einige durchaus denkende Leute dazu bringt, die Errungenschaften der freiheitlichen Gesellschaft leichtfertig auf’s Spiel zu setzen.

Wenig faszinierende Erkenntnisse 11 | Ende und Neuanfang 3

06Dec
2015

Der Anfang und das Ende der Demokratie – vom Beginn eines fragilen Konzepts bis dessen immer wiederkehrenden Rückbau durch Despoten – sind Ereignisse, die sich in schöner Regelmäßigkeit im Lauf der Geschichte ereignen. Sollte es uns sorgenvoll stimmen, wenn ein Historiker nun folgendes schreibt?

“Wir sehen inzwischen, wie illiberale Demokratien sich erfolgreich behaupten. Vielleicht deshalb, weil die meisten Leute nicht freie Meinungsäußerung und Freiheit der Künste als ihre Lebenspriorität auffassen, sondern einen vollen Kühlschrank und ein buntes Fernsehprogramm.”
Philipp Blom, Historiker, im Cicero 12/2015

Hat sich die Mehrheit der Menschheit seit über 2000 Jahren im wesentlichen wirklich nicht verändert? Braucht es nur Brot und Spiele in der richtigen Zusammensetzung, garniert mit dem formalen Anschein der Demokratie, und schon interessieren sich die Leute nicht mehr für fundamentalste Freiheiten?

Ich bin kein großer Freund von Bürgerentscheiden, aber die Ablehnung der Olympia-Bewerbung in Hamburg hat mich hoffnungsfroh gestimmt. In der Welt passiert wichtigeres, als das man zusehen müsste, wie junge Leute eine Prüfstand-Situation auf der Olympia-Laufstrecke meistern und dabei Expertise in Fähigkeiten zeigen, mit denen man die Herausforderungen dieser Welt ganz bestimmt nicht angehen kann.