Eine künstlerisch-politisierende Annäherung an eine Rückschau

14Jan
2011

Es ist ein Gebot der Stunde, ein längst überfälliges noch dazu: Eine alljährliche rückblickende Jahresrückschau, ein Schlussakkord, ein versöhnliches Resümee für das vergangene Jahr zu verfassen.
Ich tue mich schwer mit Rückschauen. Ich glaube das liegt in erster Linie daran, dass ich ein überhaupt nicht rückwärtsgewandter Mensch bin. Hm, ich überlege gerade, ob dieser Satz bei einigen Lesern dieses zur politschen Kolumne evolvierten Blogs Stirnrunzeln auslöst… wie auch immer, in persönlichen Dingen neige ich weder dazu zurück noch nach vorne zu schauen, es gibt ein hier, ein jetzt – alles andere ist unnötiger Ballast, den man sich am besten fern hält.
Ach wie schön wäre das. Immer wieder holt sie uns ja doch wieder ein, unsere Vergangenheit. Ich begann dieses Jahr bei einem Automobilzulieferer in einer mittlerweile von heftigen Protesten erschütterten schwäbischen Metropole. Ja schade eigentlich, dass ich nicht mehr dort bin, sonst hätte ich natürlich die einmalige Situation genutzt auch mal an einer Demonstration teilzunehmen (es sei angemerkt, dass regelmäßig Kundgebungen pro Stuttgart 21 stattfinden – die allerdings für die Medien mangels Krawall und Remmidemmi von nachgeordnetem Interesse waren). Ach jetzt bin ich schon wieder am politisieren. Und gar nicht am rückschauen. Gut was gibt es rückblickend über meinen temporären Arbeitgeber zu sagen? Das ganze Ausmaß des… ach nein, so spricht man nicht über ehemalige Arbeitgeber, das lernt man doch auf Seite 1 im Karriere-Knigge! Und, ganz ehrlich: Es kommen hin- und wieder die Momente, wo ich mich danach zurücksehne. Natürlich, ich gehöre da nicht hin, und wenn, dann als Praktikant, als der man sich die Freiheit nehmen kann, die Alteingessenen auf jene Weise vor den Kopf zu stoßen, indem man etwas besseres in kürzerer Zeit macht.
Dann der fließende Übergang ins letzte Semester, das Ende des Studiums. Das Ende – oh Schreck. Jetzt würde sie theoretisch da draußen warten: Die freie Wirtschaft, die Herausforderungen verspricht; oder doch eher challenges? Wo man erstmal im AC landet. AC? AC! Dann vielleicht in ein Traineeprogramm? Vorbereiten für eine steile Karriere im leadership? Natürlich werden Incentives ausgelobt! Und das ganze network, die business contacts! Alles nicht zu verachten! Und dann? Dann können Sie beruhigt hier im Hafen sitzen…
Das nächste Stirnrunzeln beim Leser? Ich zitiere Böll? Ich, der regelmäßig die Achse zitiert, und wenn nicht, dann hatte vielleicht jemand wie Broder oder auch ein Herr Fleischhauer, wie sie gerade ihr Unwesen in Artikeln in SpOn oder der Welt treiben. Aber Heinrich Böll? Wenn schon Literaten, dann vielleicht Kundera, einen der Desillusionierten, oder vielleicht noch besser Houllebeque, einen der radikalen Desillusionierenden.
Nun, an dieser Stelle ein weiteres Geständnis: Ich habe in diesem Jahr zwei Bücher von Juli Zeh gelesen, und das mit großer Begeisterung – auch zuletzt das neu herausgekommene “Corpus Delicti”. Und ich kann es jederzeit weiterempfehlen. Es bleibt zu hoffen, dass solche Größen der Literatur eben jener möglichst lange erhalten bleiben, in dem sie vor allem einen Fehler nicht machen: Einen Schritt in die Politik. Die Kunst darf alles, die Kunst darf anklagen, romantisieren, illusionieren, träumen – die Kunst darf auch eine pinkelnde Petra darstellen. Kitsch fällt natürlich nicht unter den Kunstbegriff; doch unter der Annahme menschliche Ausscheidungen nicht näher zu differenzieren: Wenn man die Kitschdefinition von Kundera zugrundelegt, die “Abwesenheit der Defäkation”, dann ist Petra eben gerade kein Kitsch. Demnach auch kein Kitsch ist dieser Sktech.