Die Hybris der Zweckmäßigkeit

22Dec
2010

An sicherlich allen Universitäten kennt man ein Problem, das sich durch den Lauf der Geschichte und durch alle Fakultäten hindurch zieht: Raumknappheit mit der Folge überfüllter Hörsäle und Übungen spät in den Abendstunden. Selbst in den hohen Etagen des Präsidiums scheint man von diesem Problem mitbekommen zu haben, denn unlängst ging ein Rundschreiben an alle Studenten, das zweifellos einen ewigen Platz in der unvollständigen Liste der unvergessenen Perlen aus dem Präsidium verdient hat. Darin heißt es u. a. dass “[…] die Verwendung zusätzlicher Stühle und Tische in den Vorlesungs- und Seminarräumen auf Grund der zwingenden Notwendigkeit der Freihaltung von Flucht- und Rettungswegen unzulässig ist”. Aber – man will ja kein Unmensch sein – erlaubt man immerhin die bekleidungs- und gepäckfreie Anwesenheit in der Veranstaltung:  “Auf Treppen und Gängen stehende oder sitzende Studierende können toleriert werden, sofern das unverzügliche Verlassen im Notfall möglich ist. Das heißt […] die Nutzung von Laptops oder das Ablegen von Gepäck und Bekleidung ist nicht zulässig.” Eine späte Konzessionsentscheidung, jetzt die lernwilligen Studenten rauszuwerfen, nachdem man lange gezögert hat, die UniversitätsBildungsStreikendenInnen zu entfernen?

Neben besserer Organisation gibt es vor allem eine zielführende Herangehensweise um hier Abhilfe zu schaffen: Die Errichtung zusätzlicher Gebäude mit Seminarräumen und Hörsälen – man sollte meinen, dass dies im Interesse der Studenten sein sollte. Doch weit gefehlt. Da plant die Uni Lüneberg ein neues Hauptgebäude und ein sehr hübsches noch dazu (aber gut, das ist Geschmackssache) und wer geht als erstes auf die Barrikaden? Studentenverter natürlich – der Bau sei “nicht zweckmäßig”. Auch dagegen sind wohl zwei Haubenlerchen-Pärchen. Ach so, ja, die Grünen natürlich auch. Aber das ist keine Nachricht; eine Nachricht wäre, wenn die Grünen bei etwas nicht dagegen sind.

Wer beurteilt nicht alles nach seiner Zweckmäßigkeit? Die Zweckmäßigkeit der Existenz, des Lebens, des Menschseins – man spricht in diesem Kontext auch von “Sinn” – ist doch eine Frage, die jedem vollkommen klar ist! Oder ist eine der Fragen des “Woher? Wozu? Wohin?” etwa noch nicht erschöpfend geklärt? Wenn das nicht der Fall ist: Eine leichte Fingerübung, diesem “Hauptzweck” des Lebens alle anderen “Zwecke” unterzuordnen, sie danach auszurichten, den ersten Zweck zu erfüllen! Als Korollare hiervon fallen ab: Die unmittelbare Zweckmäßigkeit des Baus der Pyramiden, Kolumbus Entdeckungsreise gen Westen oder auch Lindberghs erste Atlantiküberquerung per Flugzeug.

Ein Stuhl ist zweckmäßig, wenn man drauf sitzen kann – aber was verstehen wir unter einem “Zweck” im Kontext von Bildung und akademischem Leben? Gesamtgesellschaftlicher Fortschritt, kultureller Fortschritt, geistige Schönheit, Kunst? Was letzteren Aspekt angeht, finden sich etliche Vertreter von Rang und Namen, die die Werke von Libeskind zur Kunst erklären. Gut, die Frage, was der Student davon hat, in einem Kunstwerk Vorlesungen zu hören, ist zunächst nicht geklärt. Aber auch nicht geklärt ist, was eine Universität von einem Studenten hat, der eine möglichst zweckmäßige Ausbildung in einem zweckmäßigen Gebäude von möglichst zweckmäßig lehrenden Professoren erhalten möchte. Aber vielleicht setzt der/diejenige sich nach seiner Ausbildung “für einen guten Zweck” ein, bspws. der Zweckentfremdung von Hörsälen als Übernachtungsgelegenheit (für ein studierbares Studium!) oder der er/sie bewahrt Haubenlerchen vor dem Aussterben.