Der erste Zusatz zur unvollständigen Liste faszinierender Ideen

21Sep
2010

Die erste Fassung dieser Liste soll nun um einige Ideen erweitert werden, die sich insbesondere im Rahmen der Arbeitsgruppe “Komplexität” bei der Sommerakademie ergeben haben, bei der ich zuletzt teilgenommen hatte. So ließe sich als erster Leitstern in der Kategorie “Generelle Konzepte” das Wesen der Komplexität notieren. Doch an dieser Stelle möchte ich mich nicht mit diesem Abstraktum der “Wesensfrage” begnügen, sondern vielmehr höchst interessante Querverbindungen zu anderen faszinierenden Ideen aufzeigen. Ein konkretes Maß für die Komplexität anzugeben, ist ein wesentlicher Gegenstand der Bemühungen innerhalb der Komplexitätsforschung. Ein sehr pragmatischer Ansatz, die Komplexität beispielsweise eines Textes oder einer Funktion zu messen, beruht in der Kolmogorov-Komplexität: Die Länge des kürzesten Programms in einer zuvor vereinbarten Sprache (in Form einer universellen Turing-Maschine, eines ANSI-C Codes, etc…), welches diesen Text ausgeben kann oder diese Funktion berechnen kann, ist dessen Kolmogorov-Komplexität. Etwas unbefriedigend daran ist, dass diese schlicht nicht berechenbar ist, und zwar gerade wegen dem Halteproblem für Turing-Maschinen: Ein gegebenes Programm von 1000 Zeichen Länge, dass die gegebene Information korrekt wiedergibt, wäre solange nicht das erwiesenermaßen kürzeste, wie ein Programm mit 999 Zeichen noch nicht hält. Und das muss bekanntermaßen nicht eintreten.

Ordnen wir nun ebenso unter “Generelle Konzepte” Occam´s Razor ein, als das universelle Prinzip, derjenigen Theorie den Vorzug zu geben, die ein gegebenes Phänomen einfacher beschreibt. Schließen wir nun mit dem Prinzip der Analogie von Occam´s Razor hin zu Komplexität, und wir erhalten das Konzept der Minimum Description Length: Man nehme das einfachste Modell für die vorliegende Funktion, so dass die Hypothese “Das Modell gibt die Daten wieder”, unter Annahme einer Wahrscheinlichkeitsverteilung für die Daten, wiedergegeben wird. Natürlich muss die Codierung der Modelle eben genau nicht Turing-vollständig sein (sonst hätte man wieder mit dem Halteproblem zu kämpfen), auch an Annahmen über Wahrscheinlichkeitsverteilungen werden sich die Geister scheiden: Doch genau daher ist es eine faszinierende Idee, deren konkrete Implementierung bzw. deren Implikationen ich dem Leser überlassen möchte.

Nun stellt sich nur die Frage, in welche der Kategorieren MDL sich einordnen ließe, ist es für eine gesicherte Erkenntnis wohl noch vage, für ein generelles Konzept schon zu speziell. So möchte ich die Kategorie der Meta-Theorien dafür eröffnen, die dann untergeordnete Theorien erklären oder legitimieren können. Auch in die Gruppe der Meta-Theorien zähle ich die Überlegung, dass in der Evolution des Menschen gerade der Überfluss und Reichtum zur neolithischen Revolution beigetragen haben soll und nicht etwa Not und Hunger – mit einem kleinen Umweg über die Produktion von Bier, so wird es jedenfalls im ersten Gastbeitrag zur unvollständigen Liste faszinierender Ideen formuliert.

Im übrigen trugen Überfluss an Zeit und Gedanken zu diesem Artikel bei.

Die Freiheit für dumme Meinungen

13Sep
2010

Es war eine Hausaufgabe, die ich für den Ethik-Unterricht in der Kollegstufe anfertige, in welcher ich schrieb: “Wie Voltaire es mit ‘Sire, ich bin ganz und gar nicht Ihrer Meinung! Ich werde aber dafür kämpfen, dass Sie stets und überall diese Ihre Meinung äußern dürfen.’ treffend zusammenfasste – unabhängig aller divergierenden Interessen einer pluralistischen Gesellschaft ist die allseitige Anerkennung fundamentaler Grundrechte als Basis für ein friedliches Zusammenleben unabdingbar.” Auch wenn es sich um ein Voltaire fälschlich zugeschriebenes Zitat handelt: Sich diesen universellen Grundwerten, die auf die europäische Aufklärung zurückgehen, bewusst zu werden, ihre Bedeutung für den Austausch von Meinungen, eben auch vermeintlich falschen Meinungen und die Implikationen auf unser friedliches Zusammenleben zu verstehen, ist gerade in der seit einiger Zeit entbrannten Debatte in den Medien wichtiger als je zuvor.

Der Kölner Stadtanzeiger kommentiert in einem Leitartikel ein Geschehen, dessen Relevanz für die Weltgeschichte von vernachlässigbarer Größenordnung geblieben wäre, hätte es nicht den Medien zu etwas gedient, was sich noch besser verkaufen lässt als apokalyptische Katastrophenmeldungen: Polarisation und Provokation mit Aussicht auf apokalytische Katastrophen in Folge dessen. Der Kommentar des Autors, welchen ich mir erlaubt habe zusammenzufassen auf den ersten und letzten Absatz:

Die bloße Ankündigung eines Provinzpredigers, einen Koran zu verbrennen, reicht aus, um den Westen in Angst vor islamistischer Vergeltung zu versetzen. Also entschuldigen wir uns schon im Voraus – das trägt Züge einer Psychose.
[…]
Übrigens: In den nächsten Tagen könnte im Iran eine Frau gesteinigt werden. Wegen Ehebruchs. Vom Zentralrat der Muslime, vom Koordinierungsrat der Muslime, ja sogar von der evangelischen Kirche ist dazu keine öffentliche Distanzierung zu finden. Sie sind damit beschäftigt, besonnen auf Terry Jones zu reagieren.
(Gesamter Artikel)

Um das Ganze aus einer etwas anderen Perspektive zu beleuchten: Das Konzept der Selbstbezüglichkeit führt in logischen System zu Inkonsistenzen. So ist es beispielsweise nicht möglich die Aussage “Dieser Satz ist nicht wahr.” zu verifizieren oder falsizifieren. Ein probates Mittel solche Inkonsistenzen zu vermeiden, besteht darin, es nicht zuzulassen, dass Sätze sich auf sich selbst beziehen dürfen. Ein solches Vorgehen empfehle ich bei der Toleranz: Zu glauben, dass sich Toleranz auch auf die Erduldung von Intoleranz (bzw. “Nicht-Toleranz” um den Selbstbezug hervorzuheben) erstreckt, ist ein fataler Irrglaube. Wer ein politisches, rechtliches und gesellschaftliches System unter dem Schleier einer Glaubensgemeinschaft toleriert, welches sich auf Offenbahrungen höherer Wesen gründet, welches in Folge einer Meinungsäußerung wie einer Karikatur einen Aufruf zu Gewalt legitimieren kann, der wird sich später nicht mehr auf die Toleranz gegenüber seiner Meinung berufen können. Ein äußerst probates Mittel solche Inkonsistenzen herzustellen, besteht darin, eine völlig legitime Meinungsäußerung als illegitim zu erklären, so sprach beispielsweise Künast: “Wenn eine Bundeskanzlerin noch die Rede dazu hält, verschärft sie den Ton, und Im Augenblick haben wir wegen Sarrazin einen Ton, der vom Grundgesetz nicht gedeckt ist”. Frau Künast, ich werde dafür kämpfen, dass Ihre Meinung stets und überall äußern dürfen! Auch wenn diese Meinung ausgesprochen dumm ist.