Die Rettung der deutschen Sprache

29Dec
2010

Nachdem die Deutschen ja nun aussterben, soll wenigstens ihre Sprache nicht aussterben – so oder so ähnlich hatte sich das wohl Verkehrsminister Ramsauer gedacht, als er auf die krude Idee kam, Anglizismen in seinem Ministerium verbieten zu wollen. Ja ist denn schon das Sommerloch? Ganz im Gegenteil: Die Züge stehen still, die Flughäfen haben ein Räumkonzept das den Nordeuropäern Stirnrunzeln bereitet und auf den Autobahnen fehlt das Streusalz – und der Verkehrsminister beschäftigt sich damit, seinen Untergebenen beizubringen, das es Klapprechner statt Laptop heißen soll. Im Spiegel-Kommentar steht sogar noch was von einem “berechtigten Anliegen”, wobei der Minister lustigerweise neben einem denglischen Geisterfahrerwarnschild (dessen Sinn äußerst angezweifelt wird…) “Stop! Falsch” steht – ob da Illustrator und Autor ein- und diesselbe Person sind? “Ein lächerlicher Versuch” meint der Welt-Kommentator Gideon Böss, der auch hin- und wieder für die Achse schreibt, zu Ramsauers Vorstoß, nebst der vollkommen einsichtigen Erkenntnis:

“Was die Sprache angeht, soll man sie einfach in Ruhe lassen. Sie verändert sich, natürlich. Weil die Welt sich verändert. Das Deutsche vor hundert Jahren unterscheidet sich von unserem schließlich auch, so ist das eben mit Kulturgütern.”

Fraglich finde ich darüberhinaus auch, was für ein Kulturgut man bei einem “Informationsstand” o.s.ä. (“service point” bei der deutschen Bahn) eigentlich bewahren will – und die Idee, in Bahnhöfen möglichst international verständliche Begriffe zu verwenden, macht doch durchaus Sinn. Welches Wort man dafür nun hernimmt, das entwickelt sich eben; bei einem der meistverständlichsten Worte der Welt weiß niemand, wie es sich entwickelt hat.

Die Hybris der Zweckmäßigkeit

22Dec
2010

An sicherlich allen Universitäten kennt man ein Problem, das sich durch den Lauf der Geschichte und durch alle Fakultäten hindurch zieht: Raumknappheit mit der Folge überfüllter Hörsäle und Übungen spät in den Abendstunden. Selbst in den hohen Etagen des Präsidiums scheint man von diesem Problem mitbekommen zu haben, denn unlängst ging ein Rundschreiben an alle Studenten, das zweifellos einen ewigen Platz in der unvollständigen Liste der unvergessenen Perlen aus dem Präsidium verdient hat. Darin heißt es u. a. dass “[…] die Verwendung zusätzlicher Stühle und Tische in den Vorlesungs- und Seminarräumen auf Grund der zwingenden Notwendigkeit der Freihaltung von Flucht- und Rettungswegen unzulässig ist”. Aber – man will ja kein Unmensch sein – erlaubt man immerhin die bekleidungs- und gepäckfreie Anwesenheit in der Veranstaltung:  “Auf Treppen und Gängen stehende oder sitzende Studierende können toleriert werden, sofern das unverzügliche Verlassen im Notfall möglich ist. Das heißt […] die Nutzung von Laptops oder das Ablegen von Gepäck und Bekleidung ist nicht zulässig.” Eine späte Konzessionsentscheidung, jetzt die lernwilligen Studenten rauszuwerfen, nachdem man lange gezögert hat, die UniversitätsBildungsStreikendenInnen zu entfernen?

Neben besserer Organisation gibt es vor allem eine zielführende Herangehensweise um hier Abhilfe zu schaffen: Die Errichtung zusätzlicher Gebäude mit Seminarräumen und Hörsälen – man sollte meinen, dass dies im Interesse der Studenten sein sollte. Doch weit gefehlt. Da plant die Uni Lüneberg ein neues Hauptgebäude und ein sehr hübsches noch dazu (aber gut, das ist Geschmackssache) und wer geht als erstes auf die Barrikaden? Studentenverter natürlich – der Bau sei “nicht zweckmäßig”. Auch dagegen sind wohl zwei Haubenlerchen-Pärchen. Ach so, ja, die Grünen natürlich auch. Aber das ist keine Nachricht; eine Nachricht wäre, wenn die Grünen bei etwas nicht dagegen sind.

Wer beurteilt nicht alles nach seiner Zweckmäßigkeit? Die Zweckmäßigkeit der Existenz, des Lebens, des Menschseins – man spricht in diesem Kontext auch von “Sinn” – ist doch eine Frage, die jedem vollkommen klar ist! Oder ist eine der Fragen des “Woher? Wozu? Wohin?” etwa noch nicht erschöpfend geklärt? Wenn das nicht der Fall ist: Eine leichte Fingerübung, diesem “Hauptzweck” des Lebens alle anderen “Zwecke” unterzuordnen, sie danach auszurichten, den ersten Zweck zu erfüllen! Als Korollare hiervon fallen ab: Die unmittelbare Zweckmäßigkeit des Baus der Pyramiden, Kolumbus Entdeckungsreise gen Westen oder auch Lindberghs erste Atlantiküberquerung per Flugzeug.

Ein Stuhl ist zweckmäßig, wenn man drauf sitzen kann – aber was verstehen wir unter einem “Zweck” im Kontext von Bildung und akademischem Leben? Gesamtgesellschaftlicher Fortschritt, kultureller Fortschritt, geistige Schönheit, Kunst? Was letzteren Aspekt angeht, finden sich etliche Vertreter von Rang und Namen, die die Werke von Libeskind zur Kunst erklären. Gut, die Frage, was der Student davon hat, in einem Kunstwerk Vorlesungen zu hören, ist zunächst nicht geklärt. Aber auch nicht geklärt ist, was eine Universität von einem Studenten hat, der eine möglichst zweckmäßige Ausbildung in einem zweckmäßigen Gebäude von möglichst zweckmäßig lehrenden Professoren erhalten möchte. Aber vielleicht setzt der/diejenige sich nach seiner Ausbildung “für einen guten Zweck” ein, bspws. der Zweckentfremdung von Hörsälen als Übernachtungsgelegenheit (für ein studierbares Studium!) oder der er/sie bewahrt Haubenlerchen vor dem Aussterben.

Randbemerkungen zum Fest des Konsums

18Dec
2010

Samstag Nachmittag, der letzte vor Weihnachten noch dazu, inmitten der Fußgängerzone, zwischen dem Vorläufer der zukünftigen Mobilitätsdrehscheibe (“Kö”, ich glaube ohne “21”) und dem obligatorischen Weihnachtsmarkt samt überdimensionaler Weihnachtspyramide mit arg gekünstelt wirkenden überdimensionalen “Kerzen” – alles das so gesehen in einer kleinen?/großen? Stadt an der Wertach. Was Größe angeht: Zuletzt die (ernstgemeinte) Aussage eines aus Bayreuth zugereisten Studenten gehört, dessen Motivation für den Ortswechsel unter anderem die Größe der Stadt ist. Na immerhin, so groß sind wir schon.
Vielleicht zu klein für einen prestigeträchtigen Terroranschlag; und trotzdem, zwei in der Fußgängerzone vor der Straßenbahn unmotiviert entlangtuckelnde Polizeibusse. Wie gut, dass für unsere Sicherheit gesorgt ist! Noch ein wenig sicherer fühlt man sich, wenn man an einem Stand mit Koran-Büchern vorbei kommt, auf dem die Aufschrift “Islam ist Frieden” prangt – wobei die Terrorgefahr doch ohnehin völlig überschätzt wird, nachdem die Terroristen schlicht zu dumm sind.
Das erste Geschäft, welches ich bei dieser vorweihnachtlichen Feldstudie aufsuche, ist jedenfalls eine Buchhandlung, eines der wenigen Geschäfte, wo ich gegenüber dem Online-Handel noch substantielle Vorteile sehe, unabhängig davon, dass ich zunächst nicht mehr bei Amazon einkaufe. Thematisch ähnliche Bücher nebeinander stehen zu haben (und nicht nur die schlaue “Kunden kauften auch…” Funktion), darin blättern und lesen zu können – eine der wenigen angenehmen Seiten vorweihnachtlicher Konsumjagdzüge.
Ein substantieller Vorteil des Online-Handels ist allerdings, das dort das Phänomen langer Schlangen an den Kassen nicht auftritt. Regelmäßig sehe ich kopfschüttelnd, wie es Einzelhandelsgeschäfte immer wieder hinbekommen, dass zu Stoßzeiten die Schlangen so lang werden, dass potentielle Kunden die Flucht ergreifen und andererseits zu “Totzeiten” Mitarbeiter gelangweilt an der Kasse sitzen. Wer sich unter solchen Effizienzaspekten gegen den Online-Handel aufstellt, der soll sich nicht beschweren.
Ach eigentlich wollte ich doch gar nicht politisieren, sondern etwas über Weihnachten schreiben. Ja Weihnachten, das große Fest für Einzelhändler, für Spendensammler, für Friedensbewegte, für wen auch immer – wo ist auch der Unterschied? Menschen vertreten ihre Interessen, weil sie sich dadurch persönliche Vorteile erhoffen, warum ist das eigentlich so schwer zu verstehen? Es gibt viele Menschen, für die ein “erkauftes gutes Gewissen” ein persönlicher Vorteil ist, und es gibt Menschen, die das völlig legitimerweise ausnutzen. “Jeder Cent Ihrer Spende kommt ohne Abzüge Kindern zugute” liest man bei der gemeinsamen Spendenaktion der öffentlich-rechtlichen Medienanstalten und des Axel-Springer-Verlags. Sind das eigentlich die gleichen Leute die dort spenden, die dann auch für “0 % Finanzierung” einkaufen gehen? Nur noch zu toppen durch die Aussage eines Renters auf einer Kaffeefahrt (Video, ab 1:43), der meinte, eine Navi und eine Videokamera geschenkt bekommen zu haben – bei einer näheren Nachfrage korrigierte er das zu “Das hat man dazugekriegt, wenn man den Gesundheitsprospekt gekauft hat, zum halben Preis.” Schließlich noch die Nachfrage “Wieviel hat das zum halben Preis gekostet?” – “1100 Euro”
Nicht ganz so überzogen, aber immer noch um 9.95 € zu teuer fand ich eines der wenigen Bücher in dem ich leider nicht blättern konnte, da die Exemplare sämtlich eingeschweißt waren. Es war ein vielleicht 5 x 10cm großes “Büchlein”, vielleicht etwa 50 Seiten dick und es ging darum um die Heilkraft von Steinen, die man ins Wasser liegt. Zum Preis von 9.95 €.
Traue nie einer (wissenschaftlichen) Erkenntnis, die allzu spektakulär klingt – da habe ich mich sogar unlängst beim Stöbern auf Wikipedia “ertappt”: Das eine Ameise das hundertfache ihres Körpergewichts tragen kann, ist nichts besonderes. Achja, meine letzte Spende ging im Übrigen an Wikipedia.

Der Markt der Informationen und Systeme

05Dec
2010

Es war der vorletzte Blogeintrag, in dem ich mich für die bedingungslose Verteidigung der freiheitlichen westlichen Werte angesichts des Umgangs mit Regimekritikern im nahen Osten ausgesprochen haben. Natürlich fragen sich diese Länder, woher wir uns das Recht nehmen, uns einzumischen und unsere Wertemaßstäbe auf die ganze Welt anzuwenden? Wenn wir mit einer moralischen Überlegenheit des Westens argumentieren, so sollten wir seit dem Vorgehen der Regierungen dieser Welt und den jenen zu Hilfe eilenden Unternehmen (Paypal sperrte Konten, Amazon die Server) gegen Wikileaks uns nocheinmal fragen, welche konkrete moralische Überlegenheit wir eigentlich meinen.

Natürlich kann man argumentieren, dass der Diebstahl von Informationen unter Strafe steht, dass es sogar der souveräne Wille eines Volkes ist, Gesetze zu erlassen, die die Weitergabe (vermeintlich) privater Informationen sanktionieren. Wenn man sich anschaut, wie groß der Aufschrei war, wenn eine ohnehin öffentlich sichtbare Hausfassade ins Internet gestellt wird, um daraus eine wirklich gute Anwendung zu basteln, dann mag man den Eindruck bekommen, manche Leute können ihre (vermeintlich) privaten Informationen gar nicht gut genug schützen. Ob unter denen jetzt auch welche dabei sind, die sich genüsslich ins Fäustchen lachen, wie Amerikas Diplomaten weltweit Verbündete düpieren? Vermutlich, und für viele derer wird das auch gar kein Widerspruch sein: Sie sind schließlich die Guten, während die “Mächtigen” da draußen natürlich die Bösen sind, und da gelten schließlich andere Maßstäbe an “Privatsspähre”.

Diese Unterteilung der Welt in “Gut” und “Böse” ist ein schädlicher Einfluss aus der Welt der Heranwachsenden auf die Welt der Erwachsenen. Gut und Böse gibt es in Harry Potter, gibt es im Religionsunterricht für Kleinkinder, aber sicherlich nicht in der heutigen Welt. Wo ist im Fall Wikileaks die Demarkationslinie zwischen Gut und Böse? Die Regierungen und großen Unternehmen auf der Seite des Bösen und die Medien, die Hacker die kleinen Leute auf der Seite des Guten? Auch Medien sind Unternehmer (man spricht auch von “Medienunternehmern”), sie haben viel Geld für Exklusivverträge mit Wikileaks bezahlt und sie erhoffen sich einen Return of Investment.

Für große Unternehmen wie Amazon oder Paypal gehört die Zusammenarbeit mit Regierungen zum Alltagsgeschäft – ich bin nicht mal ein großer Gegner dieser Verflechtung, lieber werde ich von den Interessen der Wirtschaft regiert, als von Leuten, die regieren wollen, weil sie gerne an der Macht sind (wie sagte O’Brien? “The object of power…”). Aber gibt es unter den Unternehmen nicht auch “gute” Unternehmen? So wie Google, von denen man nur positives hört, was den Umgang mit Mitarbeitern angeht und die mit ihrer marktbeherrschenden Stellung auch noch recht vernünftig umzugehen scheinen? Oder sogar einen geschickten Spagat zwischen Freiheit und Zensur schaffen, in dem sie die Löschungen auf Anweisung der jeweiligen Behörden zwar durchführten, aber die Anfragen anschließend im Transparency Report veröffentlichten?

Die Boykott-Aufrufe gegen Amazon werden das Unternehmen genauso wenig beeindrucken wie Westerwelle die Einschätzung, er sei inkompetent – die Reaktion darauf “Von Ihnen [die Journalisten] musste ich schon schlimmeres lesen” war durchaus weltmännisch. Was ganz und gar nicht weltmännisch ist, ist der Umgang der US-Regierung mit Wikileaks. Denn der Geist ist aus der Flasche – im Gegensatz zu gestohlenen Gegenständen, die man sich zurückholen kann, sind Informationen, die einmal in der Welt sind, für immer in der Welt. Die Welt hat mit dem Internet ein globales Gedächtnis bekommen, das sich auch merken wird, wie unbeholfen die Regierungen darauf reagierten. Dabei hätte es doch so eine einfache weltmännische Reaktion gegeben: Die Regierung veröffentlicht einfach alle Dokumente, die jetzt ohnehin online stehen, auf ihren eigenen Seiten und schreibt überall dick und fett darüber “Diese Berichte geben nicht die Meinung der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika wieder sondern die Ansichten von Einzelnen.”

Stattdessen wird das Weltgedächtnis nun genährt von (großteils nicht einmal besonders relevanten) Informationen, aber auch der Tatsache – wenn es schon einen Straftatbestand “Diebstahl von Informationen” gibt – diese Informationen von US-Diplomaten auch gestohlen wurden. Wikileaks wird nachhaltigen Einfluss darauf ausüben, was Menschen über Regierungen und große Firmen schreiben, was sie darüber denken und wie sehr sie ihnen vertrauen. Auf diesem großen Markt, dessen Handelsgut die Informationen sind, operieren die Systeme als Marktteilnehmer. Das System des klassischen asymetrischen Informationsflusses der “Mächtigen” an die “Abhängigen” versus einem System, in dem die Mitteilung eines einzelnen Hackers mehr Marktwert hat als die des Präsidenten einer Weltmacht, in dem Autoren und Rezipienten von Information nicht mehr zu trennen sind. Konkurrenz belebt das Geschäft: Von diesem Markt wird die Freiheit nur profitieren, der Wertebegriff “freiheitlich-westlich” wird sich evolvieren, um einen Aspekt reicher werden, der jetzt noch so keinen rechten Namen hat, aber schon mal einen ganz guten Arbeitstitel: hackerethisch.

Der Untergang des Abendlandes…

03Dec
2010

…steht unmittelbar bevor, und verhindern können es, wenn überhaupt nur noch sie: Die diversen Bundeszensurbehörden, pardon, ich meine: Landesmedienanstalten, Landeszentralen für neue Medien, Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien und – last but not least –  und als wäre das alles nicht schon schlimm genug in einem freien (?) Land: als Worst-Of des vorherigen das Sahnehäubchen des medienpolitischen Komplettunfugs die Kommission für Jugendmedienschutz. Das erste was an diesem eigentlich tieftraurigen Aufgebot milder stimmt, ist die juristische Einschätzung auf Wikipedia:

“In der Rechtsliteratur wird auch die Meinung vertreten, dass die KJM eine verfassungswidrige Mischbehörde aus Vertretern des Bundes und der Länder sei und somit als juristisches Nullum anzusehen sei.”

Ein Nullum – das passt gut zu dem Non-Sense, der sich in dem “weltfremden Staatsvertrag” wiederspiegelt, den sich unsere großen Brüder, äh gutmeinenden Medienwächter, aus den Fingern gesogen haben. Unter anderem heißt es im Artikel:

“Die Kommission für Jugendmedienschutz und die Organisation Jugendschutz.net konzentrierten sich […] auf einige Steckenpferd-Spezialthemen wie sogenannte “Pro Ana”-Blogs.”

Pro Ana Blogs – selbstverständlich, was, wenn nicht das, wird unmittelbar zum Untergang des Abendlandes führen! Aber rekapitulieren wir ganz nüchtern: Das sind nicht anderes als Internettagebücher von hauptsächlich 12-16jährigen Mädchen für hauptsächlich 12-16jährige Mädchen (jeweils mit einer Essstörung – aber das spielt für die folgende Betrachtung eigentlich keine Rolle).

Jetzt lesen wir doch noch einmal auf der Web-Seite der KJM nach, was Ihren eigenen Statuten nach zu ihrem “Auftrag” zählt:

“Der gesetzliche Jugendmedienschutz hat das Ziel, Einflüsse der Erwachsenenwelt, die dem Entwicklungsstand von Heranwachsenden noch nicht entsprechen, von Kindern und Jugendlichen fernzuhalten und diese so bei ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen.”

Aha – das verstehe ich jetzt so: Ein Erwachsener schreibt also etwas (etwas Böses!), was von einem Jugendlichen ferngehalten wird, und damit dieser in seiner Persönlichkeitsentwicklung unterstützt. Allein diesen abstrusen Schwachsinn muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: “Unterstützung durch Unterlassung”. Funktioniert wohl genauso wie wie “Sparen durch nicht einkaufen”. Okay, gemeint haben diese intellektuellen Nullen des Nullums vermutlich etwas wie “ihre Persönlichkeitsentwicklung nicht zu gefährden” – was dann aber nur die nächste abstruse Anmaßung wäre, wie ein Einzelner über die Persönlichkeitsentwicklung einer ganzen Altersgruppe urteilen will.

Aber jetzt bringen wir die zwei Zitate doch mal zusammen: Um wenn geht es bei den Pro Ana Blogs? Sowohl Autoren wie Rezipienten kommen aus derselben Altersgruppe der “Heranwachsenden”! Was will die KJM nochmal von den Jugendlichen fernhalten? Die “Einflüsse der Erwachsenenwelt”? Nun gut, jenseits des Antlantiks gab es auch schon Kinderporno-Klagen gegen Kinder. Immerhin sollen die jugendlichen Blogger “nur” zensiert, nicht sanktioniert werden – aber: Spätestens jetzt tut sich ein dickes Fragezeichen vor meinem geistigen Auge auf – und ein großen Warum? – warum tun sie das, die Medienwächter? WARUM?

(Ich gebe zu, der nun kommende Vergleich entbehrt jeder political correctness, er ist letztlich nur eine unwesentlich harmlosere Variante des Hitler-Vergleichs, mit dem man jede Diskussion verloren hätte – aber das ist hier keine Diskussion, das ist letztlich nichts anderes als meine unwesentliche Meinung zu einem wesentlichen Thema).

Es folgt eine Szene aus George Orwells “1984”, an die ich tatsächlich zuerst dachte, nachdem ich den Artikel zum Staatsvertrag für Jugendschutz in den Medien gelesen haben. In der Szene verhört O’Brien (Offizier der Partei)  Winston (festgenommen wegen Gedankenverbrechen), wobei letzter auf einer Bank fixiert ist und an ein Gerät angeschlossen, das ihm beliebig starke Schmerzen zufügen kann und von O’Brien bedient wird:

[O’Brien]: ‘And now let us get back to the question of ‘how’ and ‘why”. You  understand well enough HOW the Party maintains itself  in power. Now tell me WHY we cling to power. What is our motive? Why should we want power? Go on, speak’
[Winston]:  ‘You are ruling over us for our own good, you believe that human beings are not fit to govern themselves, and therefore——’
He started and almost cried out. A pang of pain had shot through his body. O’Brien had pushed the lever of the dial up to thirty-five. ‘That was stupid, Winston, stupid!’ he said. ‘You should know better than to say a thing like that.’ He pulled the lever back and continued: ‘Now I will tell you the answer to my question. It is this. The Party seeks power entirely for its own sake. We are not interested in the good of others; we are interested solely in power. Not wealth or luxury or long life or happiness:  only power, pure power.’

Die Erklärung O’Briens geht an dieser Stelle noch eine knappe Seite weiter, man kann über die These – “The object of power is power” – “Macht als Selbstzweck” sicherlich trefflich streiten. Aber was bleibt, ist doch die Frage: Cui bono?

Wem nützt die Zensur? Vielleicht harmoniert bei einigen Nullen im Dunstkreis von Medien, Politik und Verwaltung die Tatsache, dass es Menschen gibt, die unverdaute Nahrung hinauskotzen und selbigen Prozess auch noch glorifizieren einfach nicht mit ihrem ordnungsliebend-harmonischen Weltbild. Apropos Kotzen: Ich schließe mit einem abgewandelten Raab-Zitat, hier bezugnehmend auf jenen Staatsvertrag: Als ich das gelesen habe, wollte ich es gleich wieder wegklicken. Aber ich habe die Maus unter der Kotze nicht mehr gefunden.