Selbstkritische Betrachtungen 8 | Wenig faszinierende Strategien 7

22Feb
2014

All die Facetten des menschlichen Lebens, die etwas mit dem Schönen und Wahren zu tun haben, waren immer nur schwer in Einklang mit den Gesetzen des kurzfristigen Wettbewerbs um Aufmerksamkeit, Renomee und Marktanteilen zu bringen. Vielleicht am augenfälligsten erscheint dies bei der Wissenschaft, die in den Augen der Wissenschaftsverwalter als genauso messbar wahrgenommen wird, wie sie wahr sein sollte.

“Das Verhältnis karriereorientierter Wissenschaftler zur Wissenschaft entspricht dem von Prostituierten zur Liebe.”

schreibt Nassim Nicholas Taleb in “Antifragilität”. So sehr man ihm in der Glorifizierung der “Klassiker”, des lange schon bestehenden und sich bewährt habenden (all dessen, was sich als antifragil gezeigt hat), einen gewissen Reaktionismus vorwerfen darf: Um die Wissenschaftsverwaltung des 21. Jahrhunderts steht es nicht zum besten. Nicht, wenn ein Homöopathie-Bachelor kurz vor der Akkreditierung steht, gegen die aber auch kaum was mehr entgegen spricht, da es sich ohnehin nur um eine formale Prüfung handelt. Nach all dem gigantischen Aufwand für die Akkreditierung, die unter anderem sicherstellen soll, dass jeder der die Grundvorlesungen einer bspws. technischen oder formalen Disziplin gehört hat, auf mehr oder weniger demselben Wissenstand ist: Wenn auch die offensichtliche Scharlatanerlie mit den Messwerkzeugen der Wissensmessung nicht als Unsinn entlarvt wird, dann ist es Zeit für das logische “ex falso quodlibet”. Aus einem logischen Fehler folgen beliebige Fehler. Damit wage ich zu behaupten, dass der ganze Akkreditierungsunsinn (der nebenbei bemerkt eine große Menge Denkzeit begabter Wissenschaftler verschwendet hat) nicht viel wert sein kann, wenn soetwas dabei herauskommt.

Faszinierende Metastrategien 4 | Antifragile Konzepte 2

19Jan
2014

Viel schmeichelhaftes hat Taleb in der ersten Hälfte von “Antifragilität” nicht über die Theoretiker zu sagen, die seiner Meinung nach vor allem die durch Trial&Error gewonnenen Erkenntnisse der Tüftler formalisieren, theoretisieren und schließlich als ihre Errungenschaften deklarieren. Eine etwas eindimensionale Sichtweise, die der Komplexität des heutigen Wissens und der Technik nicht so ganz Rechnung trägt, wie ich denke.

Nun aber Trial&Error als eine durchaus sinnvolle Lernstrategie anzuwenden – gerne pathologisiert mit dem unheilvollen Akronym “ADHS” – sehe ich als faszinierende Metastrategie an:

“Ich war sicher, das, was ich mir selbst aussuchte, tiefer und breiter lesen und verstehen zu können, da eine innere Verbindung zu meiner Neugier bestand. Außerdem profitierte ich, indem ich natürliche Stimulierung als Hauptantrieb des Lernens benutzte, von der psychischen Verfassung, die später als Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) pathologisiert wurde.
[…]
Vermeidung von Langeweile ist der einzig angemessene Handlungsmodus. Andernfalls ist das Leben nicht lebenswert.”
Nassim Nicholas Taleb in “Antifragilität”

Ersetzen wir also bald “Selbstverwirklichung” auf der höchsten Stufe der maslowschen Bedürfnispyramide durch “Vermeidung von Langeweile”? Ich denke, hier darf man durchaus die Frage stellen, ob die höchsten Gipfel dieser Welt schon erklommen worden wären, hätten ihre Besteiger an den Durststrecken ihres Aufstiegs primär versucht, Langeweile zu vermeiden.

Wenig faszinierende Strategien 6 | Antifragile Konzepte 1

05Jan
2014

“Information ist antifragil; sie wird nicht so sehr durch den Versuch stärker, sie zu befördern, als dadurch, ihr zu schaden. Viele vernichten ihren Ruf nur, indem sie versuchen ihn zu retten.”
Nassim Nicolas Taleb in “Antifragilität”

Man mag einwenden, dass genau das unter dem Streisand-Effekt schon hinlänglich bekannt ist. Hätte man dafür also den Neologismus der Antifragilität bemühen müssen? Tatsächlich treten verwandte Effekte, d.h. Systeme die auf Störungen nicht robust sondern selbstverstärkend reagieren, in allerlei Kontext auf, wie wir bei Taleb lernen können. Vielleicht hinreichend oft, dass sich dafür der neue Tag der antifragilen Konzepte lohnt, unter dem ich das ein oder andere von Taleb adaptieren werde; oder vielleicht würde er “plagiieren” sagen? Nun, auch die von ihm geschaffenen Ideen scheinen antifragile Informationen zu sein, die sich ganz von selbst verbreiten. Erbsenzählerei bei “fehlerhaften Zitaten” scheint mir ein eher fragilistisches Phänomen zu sein.

Selbstkritische Betrachtungen 7 | Das Drama der Theorie 1

02Jan
2014

Erfolgreiche Vertreter der Wirtschaft werden wahrscheinlich immer mit einem halb lächelnden, halb mitleidigen Auge auf die Theoretiker in den akademischen Gefilden blicken. Auch Dobelli zeigt sich in seinem – sehr lesenwerten – Werk “Die Kunst des klugen Handelns” nicht als Freund der Theoretiker:

“Wer hat den automatischen Webstuhl erfunden, die Dampfmaschine, das Automobil, die Glühbirne? Kein Theoretiker und kein offizielles Forschungslabor. Es waren allesamt Tüftler. Wir überschätzen die Intellektuellen, die Akademiker, die Theoretiker, die Schriftsteller, Autoren und Kolumnisten – und unterschätzen die Praktiker und die Macher. Ideen, Produkte und Fähigkeiten kommen vorwiegend durch Probieren und Abschauen zustande, weniger durch Nachlesen und Nachdenken. Nicht durch das Studium von Schwimmbüchern haben wir schwimmen gelernt. Nicht dank den Ökonomen haben wir eine Wirtschaft. Nicht die Lehrstühle für Politikwissenschaften halten unsere Demokratie aufrecht. Ich habe Sympathien für Terence Kealeys Ansicht: Nicht Universitäten führen zu einer prosperierenden Gesellschaft, sondern prosperierende Gesellschaften unterhalten Universitäten, weil sie es sich leisten können. Insofern gleichen Universitäten den Opernhäusern.”
Rolf Dobelli in “Die Kunst des klugen Handelns

Was bleibt den Theoretikern an Legitimation, fragt man sie nach ihrem Beitrag für die Gesellschaft – von der sie immerhin in aller Regel finanziert werden? Ein übergeordneter Wert der Theorie, ich nenne es gerne die “intellektuelle Ästhetik” die eine elegante, formale Formulierung mit sich bringt. So löst man keine Probleme, so schafft man eher neue Probleme einer gewissen artifiziellen Art, und doch: Auch die Opernhäuser kultivieren ihre Art der Ästhetik, die einem Großteil der Allgmeinheit nicht – oder nur zu einem sehr oberflächlichen Teil – zugänglich ist. Also lasst uns Theoretiker unsere Wissenschaft kultivieren, weil unsere Gesellschaft so weit ist und so sehr prosperiert, dass sie sich genau das leisten kann.

Sehr vereinfacht ausgedrückt: Warum beschäftigten sich die Theoretiker der Moderner mit derart praxisferner und enigmatisch notierter Theorie? Weil es geht.