Auch die schönsten Märchen sind irgendwann vorbei.
Year: 2012
Seoul II | Busan I
Mittelalter und Zukunft sind oft nur wenige Meter voneinander entfernt in den Metropolen von Südkorea. Man schlendert an 8-streifigen Hauptstraßen entlang, zu deren Seiten sich die Skyline erstreckt, wo sich der Name eines Global Players an den anderen reiht, überproportional häufig aber Samsung. Wolenkratzer, bei denen die Architekten ihrer Kreativität freien Lauf lassen durften, riesige Bildschirme findet man an quasi jedem Straßeneck, ein Flußlauf im Mittelstreifen der Allee ist derart schön mit Fußwegen umbaut und mit Brücken überbaut, dass er problemlos als dekorative Beigabe am Vorhof eines Grand Hotels durchgehen könnte.
Doch kaum verlässt man die Hauptstraße, geht in eine der Seitengassen, werden die Straßen zu einem Flickwerk, wo mal hier, mal da etwas ausgebessert wurde. Manche Häuser werden gebaut, andere abgerissen, wieder andere sehen so aus, als werden sie bald abgerissen. Manchmal lässt man auch die stabilen Stahlträger übrig, die dann als Grundlage für ein neues Haus oder Geschäft dienen. Häuser, die keine Hochhäuser sind, sind hier soetwas wie die Bepflanzung eines Gartens: Ein paar Saisons wird es schon halten, dann kann man sie wieder neu bauen.
In Schaufenstern, am Strand, in Museen findet man Terminals mit großen Touchscreens, die Informationen bereit halten, Tickets kauft man selbstverständlich nur an Automaten. Vor die Aufgabe gestellt, Briefmarken zu kaufen, sollte man doch meinen, auch dafür gibt es einen Automat? Doch wie findet man überhaupt eine Post? Junge Koreaner, die englisch sprechen, nach einer Post gefragt, denken lange nach, fragen andere Koreaner nach einem Postamt – langsam stellt sich die Frage, ob es hier sowas wie eine Post gibt. Die ganzen Kuriere auf kleinen Motorrollern, die sich, an keine Verkehrsregeln haltend, wechselnd zwischen Straße und Fußweg in ein und der selben Geschwindigkeit, einen Weg bahnen, man manchmal wegen ihnen schnell zur Seite springen muss, lassen einen ahnen, dass das Logisitik Gewerbe hier fest in privater Hand ist; neben inländischen Speditionen haben wir auch schon etliche kleine DHL-Autos und auch Motorroller gesehen. Als wir schließlich im Postamt ankommen, wird uns einiges klar: Die koreanische Post wurde zu einem lebenden Fossil, einem staatlichem Unternehmen, dass sich wahrscheinlich seit Jahrzehnten jeder Modernisierung wiedersetzen konnte. Statt Automaten eine riesige Schalterhalle, in der die Postbeamten historisch anmutendende Postmützen tragen, im Gegensatz zu den sonst so hektischen und nervösen Menschen hier, ganz seelenruhig hinter den Schaltern sitzen, wobei je ein Schalter für eine spezielle Aufgabe da ist, die langsam aber stetig, auf Kundenwunsch abgearbeitet wird. Schließlich Briefmarken für Karten nach Deutschland gekauft, die etwas weniger als Hälfte des Preises kosten, was Briefmarken innerhalb von Deutschland kosten. Ob wir vom koreanischen Staat subventioniert wurden, oder die deutschen Briefmarkenpreise die deutsche Post subventionieren? Man weiß es nicht so genau.
Der Ticketkauf für Zugtickets nach Busan ist überraschend einfach, es gibt einen Automat der englisch kann, und es gibt auch nicht wie in Deutschland solche Späße wie Bahncard, Regio-Ticket, extra Reservierung – es gibt einfach nur einen Standardpreis mit automatischer Platzreservierung. Schwierig ist nur die Bezahlung mit Bargeld – jeder Automat lässt einem nur etwa eine halbe Minute Zeit, das Geld einzuzahlen, dann wird der Vorgang abgebrochen, auch wenn man kurz davor noch erfolgreich Geld eingeworfen hat. Viel sieht man nicht von der Landschaft bei der Fahrt nach Busan, das Land ist bergig und die Zugfahrt dementsprechend reich an Tunneln. Die Motelsuche in Busan, Haeundae Beach, ist denkbar einfach, den ungefähr jedes zweite Haus hier ist ein Motel, wir sind nun sogar schon in unmittelbarer Nähe des Konferenzhotels. Am Strand zeigt sich die Stadt von ihrer modernen Seite, ein hölzerner, gut ausgebauter Weg, geht auf der Felsküste entlang, eine Tartanbahn ist als ständige Jogging-Strecke eingerichtet, Fitness-Geräte stehen frei herum.
Die U-Bahn verkehrt oft relativ weit weg von der Küste, insofern stellt es durchaus ein kleines Problem da, einen anderen Strand zu besuchen – Busstationen sind ausschließlich in Koreanisch beschriftet, bei den Stationsnamen, wie wir sie aussprechen, basierend auf der englischen Transkription, ernten wir von den Passanten und Busfahrern nur fragende Blicke. Schließlich fragen wir einen der Polizisten, die vielerorts stehen, aber eigentlich nichts zu tun haben dürften, handelt es sich schließlich um die sichersten Städte der Welt. Der erklärt uns in relativ solidem Englisch, dass laufen zu weit ist, ein Bus nicht direkt fährt, ein Taxi das einfachste sei. Doch dann die scheinbar grenzenlose koreanische Hilfsbereitsschaft: Auf die Frage, wieviel ein Taxi kostet, bietet er uns an, uns im Polizeiauto zum Strand zu fahren, und so erleben wir unsere erste Fahrt in einem Polizeifahrzeug überhaupt. Am Strand die ersten Schritte im Wasser, eine Überbrückung einer Regenpause in einem der zahllossen Cafés, eines das ein recht offensichtlicher Starbucks-Clone ist, die Rückfahrt in einem Regionalzug, der ziemlich genau von der Strand, an der Küste entlang, zu unserem Strand führt. Nachdem wir schon an den interaktiven Info-Terminals am Strand vorbeigelaufen sind, erleben wir nun wieder etwas Mittelalter: Eine kleine, provinzielle Zugstation ohne einen Automaten, nur mit Schalter, wo man Fahrkarten nur mit Platzreservierung kaufen kann und der Zug von einer Diesellok gefahren wird, die doch etwas historisch aussieht. Dafür sieht man während der Fahrt meistens einen Teil der Skyline.
Seoul Impressionen I
Drei Tage sind wir nun in der Mega-Metropole mit 25 Millionen Einwohnern im Großraum, oder “3(sam)” Tage wie in der englischen Transkription bei den U-Bahn Haltestellen stets geschrieben wird, “sam” für das koreanische Zahlwort “drei”. Dabei sind die Zahlen das einzig universell funktionierte Kommunikationsprotokoll – die Motel-Rezpeptionistin, die auf “Do you speak english” mit einem sehr freundlichen Nicken reagiert, aber offensichtlich kein Wort versteht, aber irgendwann “30000” (umgerechnet 20€) auf einen Notizzettel schreibt und herüber reicht. Schwierig, wenn man einen Zettel mit zwei Zahlen und daneben Schriftzeichen bekommt – Schriftzeichen, die für die Wochentage stehen, wie ich später herausfand – am Wochenende kosten die Motels mehr. Der Verkäufer auf dem Markt, der auf einen zuläuft mit dem Taschenrechner und den Preis für die Ware eintippt, die man gerade ansieht – vorausahnend, das wir der koreanischen Sprache genauso wenig mächtig sind, wie er der englischen. Auch wenn viele in der vorauseilenden Hilfsbereitschaft mit “A little” auf die Frage nach englischen Sprachkenntnissen antworten – bis auf wenige, verstehen sie nichts. Diese wenigen sind vor allem junge Studenten, die teilweise perfekt Englisch sprechen, von sich aus nach einer U-Bahn Durchsage zugehen und fragen “Did you understand the message?” Wir verneinen, bekommen erklärt, dass es technische Probleme gibt, der Zug steht in einer Station, wird vorerst aber nicht losfahren. Die Architekturstudentin erzählt wie reibungslos das U-Bahn Netz üblicherweise funktioniert, und das es ihr leid tut, dass wir jetzt gerade stehengeblieben sind. Wer könnte sich bitte eine solche Szene in Deutschland denken? Sicherheitspersonal, das einfach mal den Posten verlässt, und ein Stück weit in unsere Richtung geht, um uns den Weg zu zeigen. Im Starbucks, wo es kostenloses WLAN gibt, sofern man seine koreanische Personennummer oder die Nummer des Reisepasses zur Verfügung stellt, wird meine Passnummer nicht akzeptiert – ein Cafemitarbeiter tippt seine Personennummer ein, schafft es sogar bei meinem auf deutsche Sprache eingestellten Tablet, die koreanischen Tasten zu aktivieren, die er dafür braucht. Andererseits Hilfsbereitschaft die fast schon zuviel ist: Ein U-Bahn Mitfahrer, der kaum englisch kann, aber uns meint, genau erklären zu müssen wieviel Stationen wir fahren müssen, und wann wir umsteigen müssen, wieviel Stationen wir dann fahren müssen – ohne ihn einmal danach gefragt zu haben, bekommen wir simpelste Dinge erklärt.
Was man bisher gesehen hat, ist eine Stadt voller Kontraste, so kontrastreich der Samsung-Shop mit angeschlossenen Showrooms, das “Samsung D´light” zum “Gyeongbockgung” Palast erscheint, der einzige Ort wo uns die vielen bunten Gewänder, die es auf den Märkten gibt, tatsächlich mal an Personen aufgefallen sind, an der Fanfaren-spielenden Wachmannschaft. Ein Markt, wo der rohe Fisch in rauen Massen liegt, Gemüße und rohes Fleisch in großen Körben auf dem Straßenboden steht; das alles in den seltsammsten Geruchsmischungen einen einnebelt und wenig später Elektromärkte, wo sich Smartphone an Smartphone reiht. Phone? Tablet? fragt man sich, genauso wie der Werbeslogan für das “Samsung Note” beginnt, ein völlig überdimensioniertes Smartphone, das man bei etwa jedem zweiten U-Bahn Passagier unter 35 sieht – die anderen haben andere Modelle, dabei aber kaum welche von Apple, vermutlich sind die iPhones einfach zu klein, aber praktisch jeder junge Mensch in der U-Bahn hat ein Smartphone in der Hand – schreibt Mails, surft auf Facebook, schaut YouTube Videos – die Tarife hier scheinen günstig zu sein und die Datenraten schnell.
Schnell, wie auch die Leute sich immer schnell bewegen, höflich sich zwar in Zweierreihen an der U-Bahn anstellend, aber auf den Gewehen immer schnellen Schrittes, oft auch rennend unterwegs sind, schnell klickend auf ihren Smartphones, und auch schnell redend – auch wenn das natürlich am Klang der koreanischen Sprache liegen mag. Und schnell auf den Straßen unterwegs, ständig hupend und rote Fußgängerampeln gerne ignorierend – spätestens hier endet dann doch die höfliche Zurückhaltung.
Über die mangelnde Antizipierbarkeit der Zukunft
Ich bin ein Mensch der nicht gerne die Zukunft plant. Das hat nichts mit einer etwaigen zukunft-kritschen pessimistischen Grundeinstellung zu tun, denn im Grunde bin ich ein, für die heutigen Verhältnisse, grenzenloser Optimist. Während sich heute selbst die Kosmopoliten schreckliche Sorgen machen über Klima, Finanzen und Kriege – die ja längst globale, damit den Weltbürger auch betreffende Folgen, haben – bin ich sehr zuversichtlich, dass es den Menschen in 100 Jahren insgesamt besser gehen wird als heute und sich niemand unsere jetztige Zeit zurückwünschen wird. Die Wissenschaft und Techik, die Gesellschaft und auch der Mensch – alles wird sich weiterentwickeln, und zwar – folgt man dem langfristigen Trend der Menschheit – sehr zum Positiven. Die Frage ist: Wie wird es sich weiterentwickeln?
Der Laplacesche Dämon ist eine theoretisch-abstrakte Aussage darüber, dass es unmöglich ist, die Zukunft vorauszuberechnen. Ein Computer, der allein aufgrund des gesamten bekannten Zustands des Universums den nächsten Zustand berechnen wollte, würde dazu mindestens solange brauchen, bis dieser Zustand eingetreten ist. Eine faszinierende Aussage, gleichzeitig aber weitgehend irrelevant für unser tatsächliches Leben: In der Tat scheinen in unserem Leben viele Determinismen zu stecken, zum einen natürlich Recht und Verwaltung, aber natürlich auch die Naturwissenschaft: Für den Alltag spielt die Kopenhagener Deutung der Quantentheorie scheinbar keine Rolle, die Determinismen einfacher Mechanik begegnen uns im Alltag dagegen ständig. Selbst in unseren persönlichen Entscheidungen bilden wir uns ein, nach festen Regeln und Gesetzen zu handeln, unsere Erfahrungen, unser Weltbild mit seinen Werten und Moralvorstellungen, geben uns hier ein Handlungsmuster vor.
Warum also sollte nicht auch der Lauf der Dinge, die Entwicklung der Wissenschaft und Technik, der Politik und Gesellschaft nicht einfach vorhersagbar sein, wenn das große Ganze doch nur eine Konsequenz vieler kleiner Bausteine ist, die man als begabter Analytiker nur richtig zu kombinieren hat? Weil es noch nie funktioniert hat. Man schaue sich einmal “Zurück in die Zukunft II” an – wie sich die Macher dieses Films im Jahr 1989 das Jahr 2015 vorgestellt haben. Fliegende Skateboards, Mini-Pizzas, die nach “Hydration” plötzlich groß werden – aus heutiger Sicht sieht es aberwitzig aus, was man sich damals ausmalte. Nun gut, so ein Film hat keinen objektiven Anspruch sondern spielt mit Klischees im Sinne der Unterhaltung. Aber lesen wir einmal in Rolf Dobellis (im übrigen sehr empfehlenswerten) Buch “Die Kunst des klaren Denkens – 52 Denkfehler, die Sie besser anderen überlassen”. Beim “Rückschaufehler” zitiert er aus den Tagebüchern seines Großonkels:
“Hier rechnen alle damit, dass sie [die deutschen Besatzer in Frankreich im 2.ten Weltkrieg] Ende des Jahres wieder abziehen. Das bestätigen mir auch die deutschen Offiziere. So schnell, wie Frankreich gefallen ist, wird England fallen. Und dann werden wir endlich wieder unseren Pariser Alltag zurückhaben – wenn auch als Teil von Deutschland.”
Ein Zukunftsszenario, dass zum damaligen Zeitpunkt vollkommen logisch schien, erweist sich in der Rückschau als vollkommene Fehlprognose. Dobelli führt weiter aus, wie die Wirtschaftskrise seit Ende 2008 von kaum jemanden geahnt wurde, aber im Nachhinein als vollkommen logisch stringente Geschichte erklärt wird.
Es scheint im Menschen ein tief verwurzeltes Bedürfnis zu geben, den Verlauf der Geschichte als logischen roten Faden erklären zu können – und daraus scheint auch die Anmaßung zu entstehen, man könnte die Zukunft antizpieren. Dabei sind es doch gerade die immer neuen Überraschungen, die das Leben so spannend machen.