Der Untergang des Abendlandes…

03Dec
2010

…steht unmittelbar bevor, und verhindern können es, wenn überhaupt nur noch sie: Die diversen Bundeszensurbehörden, pardon, ich meine: Landesmedienanstalten, Landeszentralen für neue Medien, Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien und – last but not least –  und als wäre das alles nicht schon schlimm genug in einem freien (?) Land: als Worst-Of des vorherigen das Sahnehäubchen des medienpolitischen Komplettunfugs die Kommission für Jugendmedienschutz. Das erste was an diesem eigentlich tieftraurigen Aufgebot milder stimmt, ist die juristische Einschätzung auf Wikipedia:

“In der Rechtsliteratur wird auch die Meinung vertreten, dass die KJM eine verfassungswidrige Mischbehörde aus Vertretern des Bundes und der Länder sei und somit als juristisches Nullum anzusehen sei.”

Ein Nullum – das passt gut zu dem Non-Sense, der sich in dem “weltfremden Staatsvertrag” wiederspiegelt, den sich unsere großen Brüder, äh gutmeinenden Medienwächter, aus den Fingern gesogen haben. Unter anderem heißt es im Artikel:

“Die Kommission für Jugendmedienschutz und die Organisation Jugendschutz.net konzentrierten sich […] auf einige Steckenpferd-Spezialthemen wie sogenannte “Pro Ana”-Blogs.”

Pro Ana Blogs – selbstverständlich, was, wenn nicht das, wird unmittelbar zum Untergang des Abendlandes führen! Aber rekapitulieren wir ganz nüchtern: Das sind nicht anderes als Internettagebücher von hauptsächlich 12-16jährigen Mädchen für hauptsächlich 12-16jährige Mädchen (jeweils mit einer Essstörung – aber das spielt für die folgende Betrachtung eigentlich keine Rolle).

Jetzt lesen wir doch noch einmal auf der Web-Seite der KJM nach, was Ihren eigenen Statuten nach zu ihrem “Auftrag” zählt:

“Der gesetzliche Jugendmedienschutz hat das Ziel, Einflüsse der Erwachsenenwelt, die dem Entwicklungsstand von Heranwachsenden noch nicht entsprechen, von Kindern und Jugendlichen fernzuhalten und diese so bei ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen.”

Aha – das verstehe ich jetzt so: Ein Erwachsener schreibt also etwas (etwas Böses!), was von einem Jugendlichen ferngehalten wird, und damit dieser in seiner Persönlichkeitsentwicklung unterstützt. Allein diesen abstrusen Schwachsinn muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: “Unterstützung durch Unterlassung”. Funktioniert wohl genauso wie wie “Sparen durch nicht einkaufen”. Okay, gemeint haben diese intellektuellen Nullen des Nullums vermutlich etwas wie “ihre Persönlichkeitsentwicklung nicht zu gefährden” – was dann aber nur die nächste abstruse Anmaßung wäre, wie ein Einzelner über die Persönlichkeitsentwicklung einer ganzen Altersgruppe urteilen will.

Aber jetzt bringen wir die zwei Zitate doch mal zusammen: Um wenn geht es bei den Pro Ana Blogs? Sowohl Autoren wie Rezipienten kommen aus derselben Altersgruppe der “Heranwachsenden”! Was will die KJM nochmal von den Jugendlichen fernhalten? Die “Einflüsse der Erwachsenenwelt”? Nun gut, jenseits des Antlantiks gab es auch schon Kinderporno-Klagen gegen Kinder. Immerhin sollen die jugendlichen Blogger “nur” zensiert, nicht sanktioniert werden – aber: Spätestens jetzt tut sich ein dickes Fragezeichen vor meinem geistigen Auge auf – und ein großen Warum? – warum tun sie das, die Medienwächter? WARUM?

(Ich gebe zu, der nun kommende Vergleich entbehrt jeder political correctness, er ist letztlich nur eine unwesentlich harmlosere Variante des Hitler-Vergleichs, mit dem man jede Diskussion verloren hätte – aber das ist hier keine Diskussion, das ist letztlich nichts anderes als meine unwesentliche Meinung zu einem wesentlichen Thema).

Es folgt eine Szene aus George Orwells “1984”, an die ich tatsächlich zuerst dachte, nachdem ich den Artikel zum Staatsvertrag für Jugendschutz in den Medien gelesen haben. In der Szene verhört O’Brien (Offizier der Partei)  Winston (festgenommen wegen Gedankenverbrechen), wobei letzter auf einer Bank fixiert ist und an ein Gerät angeschlossen, das ihm beliebig starke Schmerzen zufügen kann und von O’Brien bedient wird:

[O’Brien]: ‘And now let us get back to the question of ‘how’ and ‘why”. You  understand well enough HOW the Party maintains itself  in power. Now tell me WHY we cling to power. What is our motive? Why should we want power? Go on, speak’
[Winston]:  ‘You are ruling over us for our own good, you believe that human beings are not fit to govern themselves, and therefore——’
He started and almost cried out. A pang of pain had shot through his body. O’Brien had pushed the lever of the dial up to thirty-five. ‘That was stupid, Winston, stupid!’ he said. ‘You should know better than to say a thing like that.’ He pulled the lever back and continued: ‘Now I will tell you the answer to my question. It is this. The Party seeks power entirely for its own sake. We are not interested in the good of others; we are interested solely in power. Not wealth or luxury or long life or happiness:  only power, pure power.’

Die Erklärung O’Briens geht an dieser Stelle noch eine knappe Seite weiter, man kann über die These – “The object of power is power” – “Macht als Selbstzweck” sicherlich trefflich streiten. Aber was bleibt, ist doch die Frage: Cui bono?

Wem nützt die Zensur? Vielleicht harmoniert bei einigen Nullen im Dunstkreis von Medien, Politik und Verwaltung die Tatsache, dass es Menschen gibt, die unverdaute Nahrung hinauskotzen und selbigen Prozess auch noch glorifizieren einfach nicht mit ihrem ordnungsliebend-harmonischen Weltbild. Apropos Kotzen: Ich schließe mit einem abgewandelten Raab-Zitat, hier bezugnehmend auf jenen Staatsvertrag: Als ich das gelesen habe, wollte ich es gleich wieder wegklicken. Aber ich habe die Maus unter der Kotze nicht mehr gefunden.